Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
neben ihr und sah sie mit gerunzelter Stirn an.
»Nicht jetzt, kleiner Löwe.«
»Mit wem sprichst du, Mama?«
»Wer sagt denn, dass ich mit jemandem rede?«
»Du bewegst ständig die Lippen.«
Shúria? , hallte erneut Lauris’ Ruf in ihrem Innern.
Warte kurz , bat sie ihn und wandte sich wieder ihrem Sohn und den beiden Frauen zu. In knappen Sätzen schilderte sie die Situation ihres Bruders. »Ischáh, hast du eine Idee, wie wir ihn retten können?«
»Ich kann Onkel Lauris finden«, sagte Ari.
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist lieb von dir, kleiner Löwe. Aber bisher hast du nur aufgespürt, was du kennst. Wie willst du einen Menschen finden, der lange vor deiner Geburt verschollen ist?«
»Ich kann es«, wiederholte Ari mit Nachdruck.
Hilflos sah Shúria die beiden Frauen an.
Ein wissendes Lächeln huschte über Lehis ledrige Lippen. »Der Geist vermag Bande zu sehen, die dem Auge verborgen bleiben. Denk an Carma. Sie hat den kleinen Löwen und seine Schwester vorhin genauso wie einst ihren Vater begrüßt, obwohl sie die Kinder zum ersten Mal sah.«
Shúria war hin- und hergerissen. »Selbst wenn Ari es schaffen könnte, wäre die Reise viel zu gefährlich für Aïschah …«
»Dann lass sie bei mir.«
»Was?«, stieß Shúria irritiert hervor.
Die Kirrie lächelte. »Ich habe sechs Kindern das Leben geschenkt und trotz mancher Sorgen um sie kein einziges verloren. Deine Tochter wird wie eine von meinen Töchtern sein, bis du zurückkommst. Ich werde sie hüten wie meinen Augapfel.«
Shúria fühlte ihr Herz in der Brust trommeln. Ein Wunder, dass die Kleine davon nicht aufwachte. Ihr Blick wechselte zu Ischáh.
Die Donnerreiterin zuckte mit den Schultern. »Also, Keter und ich sind dabei. Narimoth ist pfeilschnell. Wenn wir gleich losschwallen, könnten wir in zwei Wochen zurück sein.«
Langsam sog Shúria die Luft ein, hielt sie an und nickte schließlich. »Ich komme mir zwar vor wie die schlechteste Mutter der Welt, doch ich kann mich dem Hilferuf meines Bruders nicht verschließen. Wir brechen sofort auf.« Dann hob sie wieder ihre innere Stimme. Lauris? Hörst du mich?
Klar und deutlich, Schwesterlein.
Harre aus, mein Lieber. Ich bin auf dem Weg zu dir.
» Was wollt Ihr tun?«, fragte Jarmuth ungläubig. Sein silbriger Mantel reflektierte die Lichter der Stadt Karka, die wenige Schritte hinter ihm begann. Der wie ein Schwarzbär gebaute Herrscher der Kirries starrte verdutzt die Frauen an, die sich kämpferisch vor ihm aufgebaut hatten. Ganz vorne stand Shúria. Sie war es auch, die ihm antwortete, nun schon zum dritten Mal.
»Wir schwallen nach Zeridia und retten meinen Bruder.«
Jarmuth war so beharrlichen Widerspruch von einem weiblichen Wesen offenkundig nicht gewohnt. Hilfe suchend blickte er sich nach seinen Kriegern um, die ihm stumm und grimmig den Rücken stärkten. Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf sie und jammerte: »Das ist ein Ehrengeleit aus sechzig tapferen Recken. Nur für Euch, Herrin.«
»Sie sind für meinen Mann. Wäre ich nicht die Gemahlin Eures wandelnden Kronschatzes, bekäme ich auch keinen Ehrenzug.« Shúria lächelte mit ihrem ganzen Liebreiz, obwohl sie Zweifel hegte, damit die so sehr in Falten vernarrten Kirriemänner zu beeindrucken. »Ich verstehe ja, dass Ihr enttäuscht seid, Majestät. Jetzt könnt Ihr beim Einzug in die Stadt den Jubel Eures Volkes mit niemandem teilen, außer vielleicht mit der Tochter des Drachentöters.« Sie deutete vage auf das Neugeborene, dessen Gesichtszüge sich inzwischen hinreichend geglättet hatten, um nicht für ein Kirriekind gehalten zu werden.
»Die Tochter …?« Der König starrte verständnislos das Mädchen in Lehis Armen an.
»Jagurs Frau wird Aïschahs Amme sein, bis ich zurückkehre«, erklärte Shúria. »Und dann – vielleicht schon in zwei Wochen – nehme ich gerne Euer Angebot an und lasse mich von Eurer Gastfreundschaft verwöhnen. Was haltet Ihr davon?«
Jarmuth musterte mit einem zugekniffenen Auge das schlafende Kind mit den rosigen Wangen. Ihm war anzusehen, wie hässlich er es fand. »Und ich darf Eure Tochter meinem Volk als Botschafterin des Drachentöters vorstellen?«
»Ja. Aber nur bis der Marsch in Lehis Quartier vorüber ist.«
»Sie wird natürlich im Kohimoor wohnen.«
»Lehi war wochenlang von ihren eigenen Kindern getrennt, um mir bei der Geburt zu helfen. Ich will ihnen nicht zumuten, noch länger auf die Mutter zu verzichten.«
Der König grinste. »Kohimoor
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