Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
den tropischen Inseln der Zentralregion stammten und im Raum einen harzigen Duft verströmten. Pyron kam gleich zur Sache. »Wir sollten sofort aufbrechen, mein Herr.«
Die schwarzen Augen des Hohepriesters musterten ihn intensiv. »Was beunruhigt dich? Du weißt, dass unsere Abreise erst für morgen vorgesehen ist, weil ich heute noch einige wichtige Unterredungen habe. Ramoth ist der letzte Außenposten der reinen Anbetung, bevor die Finsternis …«
»Genau darum geht es«, fiel Pyron dem Chohén ins Wort und schlug den Blick nieder. »Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche, aber wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Dürfte ich auch den Grund erfahren?«
»Die Wolke ist wieder da.«
»Die … Du sprichst von der Wolke? Von diesem dunklen Wabern, das mich beim letzten Mal davon abgehalten hat, nach Ramoth zu kommen?«
»Ja. Es kehrt zurück. Und es wird immer schneller. Man könnte glauben, die Wolke wüsste, dass Ihr Euch hier aufhaltet. Bitte folgt mir, Herr Adriël.«
»Wir müssen Tumba aus dem Äther herbeirufen.«
»Das habe ich bereits veranlasst. Bis wir den Hafen vor den Stadttoren erreichen, wird Eure Drachenkröte eingetroffen sein.«
Seufzend erhob sich der Priester. »Und das Gepäck?«
»Das läuft uns nicht davon. Bitte beeilt Euch.«
Pyron schob Adriël auf den Flur hinaus und befahl den dort postierten Tempelwächtern mitzukommen. Auf dem Weg nach draußen begegneten sie einem Ratsherrn und mehreren Beamten, die den fluchtartigen Aufbruch des Ehrengastes in Verkennung der Gefahr mit verständnislosen Mienen verfolgten. Unterwegs sammelten die Zeridianer weitere Kameraden ein. Bis die Eskorte das Haus der Räte verlassen hatte, zählte sie zwei Dutzend Leibwachen.
Schreie von Tieren und Menschen hallten durch die Gassen. Die ganze Stadt schien dem Wahnsinn zu verfallen. Mit dem Hohepriester in ihrer Mitte überquerten die Tempelwächter den Vorplatz. Am gegenüberliegenden Ende lag die Hafengasse.
Als Pyron zum Himmel emporsah, wurde ihm die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens bewusst. Es war zu spät. Der Ruß, Staub oder worum immer es sich bei dem dunklen Gewölk handelte, wirbelte bereits durch die Lufthülle der Insel. Wie ein Richtschwert fuhr es auf die Stadt nieder.
»Zurück ins Haus!«, rief er.
Die Gruppe machte kehrt.
Plötzlich schwappte aus Richtung des Hafens eine Woge der Finsternis über den Vorplatz. Sie schoss direkt auf Adriël und seine Beschützer zu.
»Schildkröte!«, brüllte Pyron.
Die Tempelwächter formierten sich um den Chohén herum zu einem Kreis und bildeten mit ihren Schilden einen annähernd lückenlosen Panzer. Nur ihr Anführer reihte sich nicht mit ein. Er trat der herannahenden Wolke entgegen und ballte seinen Willen.
Kurz bevor das Dunkel die Männer erreichte, verwandelte es sich in ein gewaltiges Funkengestöber.
Mit zusammengebissenen Zähnen sank Pyron keuchend auf ein Knie herab. Ihm brach der Schweiß aus. Selten hatte er seine Gabe auf ein so großes Areal anwenden müssen. Als Feuerbändiger konnte er fast alles in Flammen aufgehen lassen und die meisten Brände auch wieder löschen. Hier allerdings kam die Bedrohung von überall, und er musste seine ganze Kraft aufwenden, um das Dunkel vom Chohén und seinen Kameraden fernzuhalten.
Endlich zog sich die Wolke zurück. Pyron beschlich das Gefühl, es mit einem lebendigen Wesen zu tun zu haben, das über die Dächer und in die benachbarten Gassen floh. Von ferne wehten weiterhin die ängstlichen Schreie von Menschen und Tieren herüber. Wenigstens die unmittelbare Gefahr schien jedoch gebannt zu sein. Er wollte schon aufatmen, als er plötzlich einen gellenden Schrei aus dem Rätehaus vernahm.
»Ihr bleibt hier und beschützt den Chohén«, rief er seinen Kameraden zu und lief mit gezogenem Schwert in das Gebäude zurück. Im Vestibül traf er auf verängstigte Frauen und Männer.
»Was ist passiert?«
Einer der Ratsherren deutete nach rechts. »Dort liegen die Gemächer von Kolb. Ich glaube, es ist sein Weib Fidenia, das da ruft.«
Pyron rannte durch eine Tür in einen finsteren Korridor. Zu beiden Seiten zweigten Zimmer ab. Ganz hinten schimmerte fahles Tageslicht. Während er den Gang durchquerte, verstummte Fidenias Stimme. Kam er schon wieder zu spät? Er stürzte in die Kammer und erstarrte vor Schreck.
Auf dem Bett lag ein Kind. Allein der Anblick des zappelnden Wesens bescherte ihm eine Gänsehaut. Es sah aus wie ein Antisch, doch es hatte Flügel wie ein Zioraner.
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