Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
schlug vor, gemeinsam mit Almin und Reibun zunächst die Vorräte aufzufrischen. So hätten sie es immer gehalten, um jederzeit aufbrechen zu können. Sobald er Narimoth gut versorgt wisse, würden sie nachkommen.
Ischáh umarmte ihren Mann und kniff ihm in die Wange. »Mein großer Held fürchtet sich wohl vor den Wächtern der Unterwelt und überlässt es lieber seinem Weib, sie wohlgesonnen zu stimmen.«
Er brummte etwas Unverständliches.
Sie küsste ihn liebevoll zum Abschied.
Nach kurzem Fußmarsch erreichten die drei Frauen mit den Kindern das streng bewachte Hauptportal. Die Türen aus dunkelbraunem Holz waren mindestens dreißig Fuß hoch und mit starken Eisenbändern beschlagen. Shúria fühlte sich winzig unter dem Torbogen. Während sie Aïschah in den Armen wiegte – das Mädchen schlief tief und fest –, verfolgte sie Lehis Gespräch mit den Wachen.
Malon war der geheimste Ort der Welt, versteckter noch als Dagonis. Wer es als Nicht-Kirrie wagte, hier aufzukreuzen und von den unerbittlichen »Wächtern der Unterwelt« Einlass in König Jarmuths dunkles Reich zu erbeten, brauchte schon eine gehörige Portion Wagemut. Glücklicherweise waren Jagur und Zoldan, Ischáhs erster Ehemann, den Torposten bekannt, weshalb sie deren Frauen nicht gleich mit ihren Äxten bearbeiteten. Einer erkannte dann die Tochter des ehemaligen Hohepriesters und Gemahlin des Drachentöters. Taramis war bei dem Volk vom Berge ein Nationalheld, seit er es von der jahrhundertelangen Tyrannei des doppelköpfigen Ungeheuers Lurkon befreit hatte. Als seine Frau für sich und ihre Kinder Schutz erbat, schmolzen die hartgesottenen Gesellen förmlich dahin. Mit einem tiefen Rumoren öffneten sich den Besuchern die schweren Türen des Portals. Sofort wurde ein Bote vorausgeschickt, der die Ankunft Shúrias im Palast melden sollte. Auf einem Höhlenwidder galoppierte der aufgeregte Kirrie davon.
Die Hauptgruppe folgte in gemächlicherem Tempo. Begleitet von acht stämmigen Kriegern der königlichen Garde, deren enorme Streitäxte Aris Aufmerksamkeit fesselten, ging es immer tiefer in das Schattenreich hinein. Sie durchquerten einen Tunnel, der meist schnurgerade durch den Berg verlief. Er war mindestens so hoch wie die Flügeltüren am Eingang und so breit wie die Hafenstraße von Adma, der Hauptstadt Barneas. Zu beiden Seiten erstreckten sich leuchtende Perlenketten: zuckerrübengroße Lichtsteine in Wandnischen, die in regelmäßigen Abständen das Dunkel bekämpften – nicht sonderlich erfolgreich, wie Shúria fand.
»Es ist so finster hier«, murmelte sie.
Lehi lachte fröhlich. »Daran gewöhnt man sich. Die meisten von uns brauchen das Kalte Feuer kaum.«
Ari hakte sich bei seiner Mutter ein. »Mit mir kannst du dich nicht verlaufen, Mama.«
Seine Fürsorglichkeit rührte sie zu Tränen. Mit der gleichen Hingabe hatte er schon die Tempelhuren von Peor und König Ogs Nebenfrauen getröstet. Er litt geradezu unter den Nöten anderer und tat alles, sie zu lindern. »Danke, kleiner Löwe«, sagte sie in gespielter Förmlichkeit. »Ich schätze mich glücklich, einen Finder wie Euch an meiner Seite zu wissen.«
Immer tiefer drangen sie ins dunkle Reich der Kirries vor.
»Was sind das für Lichter da vorne?«, fragte Shúria geraume Zeit später.
»Das ist Karka, Herrin, unsere Hauptstadt«, antwortete der Hauptmann der Eskorte.
»Und warum hüpfen sie so?«
»Ach das meint Ihr! Ich vermute, das ist die Vorhut des Empfangskomitees … Nein, es ist Simli.«
»Ein vertrauenswürdiger Mann. Ihm untersteht die königliche Leibwache«, fügte Ischáh leise hinzu.
Kurz darauf hatte Simli die Gruppe erreicht. Die Falten in seinem Gesicht waren Flusstäler, durch die Ströme von Schweiß flossen. Er musste ziemlich schnell gelaufen sein. Der Kommandant hatte struppige, strohgelbe Haare und türkisfarbene Augen. Seine Statur war ein Ebenbild geballter Kraft, ungefähr genauso hoch wie breit. Er trug einen topfartigen Helm, ein Kettenhemd, ein Breitschwert und natürlich die obligatorische Streitaxt. Als er die Mutter mit dem Kind sah, verneigte er sich tief.
»Friede Euch und Euren Begleitern, Herrin Shúria. Es ist mir eine Ehre, die Gemahlin des Drachentöters willkommen zu heißen.«
Sie deutete eine Verbeugung an, das in Tücher gewickelte Mädchen behutsam an sich drückend. Aïschah war erwacht und würde jeden Moment nach ihrer Milch verlangen. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Kommandant. Obwohl ich nicht nur
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