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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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wir damit kämen und wie weit wir noch hätten, so daß ich meinem Handwerk nachging und mich in jeder Gemeinde erkundigte, ob nicht irgendeine Verstümmelung oder Enthauptung anstehe. Die Landstreicher hielten uns für Leute ihres Schlages, obschon einige in uns etwas Besseres sahen, weil ich ausschließlich für die Obrigkeiten arbeitete, während wieder andere uns als Werkzeug der Tyrannei verachteten.
    Eines Abends erbot sich ein Messerschleifer, der freundlicher als alle übrigen war und uns schon ein paar kleine Gefallen getan hatte, mein Terminus Est zu schleifen. Ich erklärte ihm, es sei genügend scharf, und forderte ihn auf, die Schneide mit dem Finger zu prüfen. Nachdem er sich leicht geschnitten hatte (was ich nicht anders erwartet hatte), begeisterte er sich für die Waffe, wobei er nicht nur die feine Klinge, sondern auch das weiche Leder der Scheide, die kunstvolle Parierstange und so weiter bewunderte. Sobald ich unzählige Fragen zu seiner Herstellung, Geschichte und Verwendung beantwortet hatte, bat er, ob ich ihm nicht erlauben würde, es zu halten. Ich warnte ihn, wie schwer es sei und wie schnell der feine Schliff Schaden nähme, wenn man damit gegen etwas stieße, woraufhin ich es ihm reichte. Lächelnd ergriff er das Heft, wie ich’s ihm erklärt hatte; aber als er dieses lange, glänzende Werkzeug des Todes hochheben wollte, wurde sein Gesicht aschfahl und begannen seine Arme zu zittern, so daß ich es ihm rasch entreißen mußte, damit es nicht auf die Erde fiele. »Ich habe schon viele Soldatenschwerter gewetzt«, plapperte er hiernach in einem fort.
    Nun machte ich an mir selbst die gleiche Erfahrung. Ich legte die Pistole so schnell auf den Tisch, daß sie mir fast aus der Hand geglitten wäre, und ging dann immer wieder um sie herum, als wäre sie eine eingerollte, zum Zustoßen bereite Giftschlange.
    Sie war kürzer als meine Hand und so fein gearbeitet, daß man sie für ein Schmuckstück hätte halten können; dennoch verriet jede Linie, daß sie von den Sternen, den nicht gerade nächsten, stammte. Ihr Silber hatte sich im Laufe der Zeit nicht beschlagen, sondern glänzte wie frisch von der Schwabbelscheibe. Sie war mit Ornamenten verziert, wobei es sich vielleicht um eine Schrift handelte – was ich nicht sicher sagen konnte, denn für Augen wie die meinen, die an Muster aus geraden Strichen und Kreisen gewöhnt sind, wirkten sie zuweilen bloß wie schimmernde Reflexe, obgleich es Reflexe waren von etwas, das gar nicht vorhanden war. Der Griff war mit schwarzen Steinen besetzt, für die ich keinen Namen kannte und die Turmalinen glichen, aber heller waren. Bald fiel mir auf, daß ein solcher Stein, der kleinste davon, scheinbar ganz verschwand, wenn ich ihn nicht geradeaus ansah, wobei er vierstrahlig funkelte. Als ich ihn genauer betrachtete, zeigte sich, daß es sich gar nicht um einen Edelstein, sondern um eine winzige Linse handelte, durch die ein inneres Feuer schimmerte. Die Pistole war also noch geladen nach all den Jahrhunderten.
    Mochte es auch unlogisch sein, dieses Wissen beruhigte mich. Eine Waffe kann ihrem Benutzer auf zwei Arten gefährlich werden: indem sie ihn unbeabsichtigt verwundet und indem sie ihn im Stich läßt. Die erste Möglichkeit bestand noch; aber als ich diesen hellen Lichtpunkt entdeckte, wußte ich, daß die zweite ausschied.
    Es befand sich unter dem Lauf ein Schiebezapfen, mit dem sich wahrscheinlich die Heftigkeit der Entladung einstellen ließe. Mein erster Gedanke war, daß der einstige Benutzer, wer immer das auch gewesen sein mochte, die Kraft vermutlich auf Maximum eingestellt hatte, und daß ich, indem ich den Regler auf die andere Seite schöbe, mit einiger Sicherheit damit experimentieren könnte. Aber dem war nicht so – der Zapfen stand in der Mitte der Schiene. Zuletzt gelangte ich zum Schluß, das die Waffe entsprechend einem Bogen am ungefährlichsten wäre, wenn der Zapfen am weitesten vorne stünde. Ich schob ihn dorthin, zielte mit der Pistole in den Kamin und drückte ab.
    Das Schußgeräusch ist das gräßlichste in der Welt. Es hört sich an, als würde die Materie selbst aufkreischen. Nun war der Knall ziemlich milde, aber furchteinflößend wie das ferne Rollen des Donners. Einen Augenblick lang – so flüchtig, daß ich schon glaubte, das nur geträumt zu haben – blitzte zwischen der Mündung und den Holzscheiten ein greller Lichtstrahl auf. Im nächsten Moment war er schon wieder erloschen, aber das Holz brannte

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