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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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anderen gewachsen.
    Ihr werdet wohl schon Nachrichten haben, die frischer und präziser sind als die meinen. Für den Fall, daß dem nicht so ist: Der Krieg verläuft gut und schlecht. Ihr Umfassungsangriff konnte an keiner Stelle weit vordringen, und insbesondere der südliche Vorstoß kostete solche Verluste, daß man ruhig von einer Totalniederlage sprechen darf. Ich weiß, der Tod von so vielen miserablen Sklaven des Erebus wird Euch keine Freude machen, aber unsren Armeen ist dadurch wenigstens eine Verschnaufpause gegönnt.
    Und diese brauchen sie dringend. Es herrscht Aufruhr unter den Paraloi, der niedergeschlagen werden muß. Die Tarentiner, Eure Antrustioner und die Stadtlegionen – die drei Verbände, welche die Hauptwucht des Angriffs zu spüren bekamen – hatten fast genauso hohe Verluste wie der Feind. Es gibt darunter Kohorten, die keine hundert unversehrte Mann mehr zusammenbringen.
    Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß wir mehr leichte Waffen brauchen und insbesondere Geschütze, falls meine Vettern sich überreden lassen, sich zu einem Preis, den wir uns leisten können, davon zu trennen. Mittlerweile müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um neue Truppen auszuheben, und zwar so rechtzeitig, daß die Rekruten im Frühjahr ausgebildet sind. Leichte Einheiten, die plänkeln können, ohne auseinanderzufallen, sind im Moment gebraucht; aber wenn die Ascier im kommenden fahr wieder vorstoßen, benötigen wir Pikeniere und Pilani hunderttausendfach, also wäre es am besten, zumindest einen Teil schon jetzt unter die Waffen zu stellen.
    Über Abaias Übergriffe werdet Ihr auf neuerem Stand sein als ich; seitdem ich die Front verließ, hatte ich keine Meldungen mehr. Hormisdas ist, glaube ich, nach Süden unterwegs, aber Olaguer kann Euch wohl Auskunft geben.
    In Eile und Hochachtung
    INIRE
     

 
Von falschem Gold und Feuer
     
    Es bleibt nicht mehr viel zu erzählen. Ich würde die Stadt in wenigen Tagen verlassen, so daß alles, was ich mir hier zu erledigen vorgenommen hatte, rasch über die Bühne gehen müßte. Ich hatte in der Zunft keine Freunde, auf die Verlaß wäre, von Meister Palaemon einmal abgesehen, aber er wäre mir bei meinem Vorhaben wenig dienlich. Also ließ ich Roche rufen, von dem ich wußte, daß er mir nicht lange ins Gesicht lügen könnte. (Ich erwartete einen Mann, älter als ich selbst, aber der rothaarige Geselle, der sich einfand, war noch ein Jüngling; nachdem er sich entfernt hatte, betrachtete ich mein Gesicht im Spiegel – eingehend wie noch nie.) Er berichtete mir, daß er und einige andere, die mehr oder weniger eng mit mir befreundet gewesen waren, gegen meine Hinrichtung gestimmt hatten, als die Zunft mich zu töten gedacht, was ich ihm durchaus glaubte. Zudem gestand er ganz offen, er habe vorgeschlagen, ich solle verstümmelt und ausgestoßen werden, obwohl er, wie er betonte, nur dafür eingetreten sei, weil es der seiner Meinung nach einzige Weg gewesen sei, mein Leben zu retten. Ich glaube, er hat mit irgendeiner Form von Bestrafung gerechnet – seine Wangen und Stirn, normalerweise hübsch rosig, waren so bleich geworden, daß die Sommersprossen darin wie Farbkleckse abstachen. Sein Tonfall war jedoch ruhig und fest, und er hatte nichts geäußert, was darauf hindeutete, daß er sich freispreche, indem er die Schuld andern in die Schuhe schöbe.
    In der Tat hatte ich natürlich sehr wohl die Absicht nicht nur ihn, sondern die ganze Zunft zu bestrafen. Nicht weil ich ihm oder den übrigen Brüdern grollte, sondern weil ich davon überzeugt war, eine vorübergehende Haftverbüßung unter ihrem Turm würde sie empfindsam machen für jeden Rechtsgrundsatz, von dem Meister Palaemon gesprochen hatte, und weil es mir die beste Möglichkeit schien, sicherzustellen, daß das Verbot jeder Folter, das ich zu erlassen gedachte, eingehalten würde. Jene, die ein paar Monate in der Angst verleben müssen, diese Kunst am eigenen Leib zu spüren, nehmen es wohl kaum übel, wenn damit Schluß gemacht wird.
    Freilich erwähnte ich gegenüber Roche davon kein Wort, sondern bat ihn nur, am Abend eine Gesellentracht für mich zu bringen und sich am nächsten Morgen mit Drotte und Eata bereitzuhalten, da ich ihre Hilfe brauchte. Er lieferte die Kleider nach der Vesper ab. Es war mir eine unaussprechliche Freude, mich der steifen Gewänder, die ich getragen hatte, zu entledigen und wieder das Gildenschwarz anzulegen. Bei Nacht ist es die beste Tarnung, die ich kenne, und

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