Die Zuckerbäckerin
schon diese kleine Bewegung tat unendlich weh.
»Die Schmerzen â¦, wie Feuer â¦, im Gesicht â¦Â«
Im nächsten Augenblick wurde sie von einer heiÃen Woge erfaÃt, die wie ein stürmischer Wind durch ihren Kopf raste. Ein feuerrotes Wirbeln hinter ihren Augen zerfetzte eine innere Wand ihres Schädels, gleichzeitig war ihr, als lösten sich kleine Teile in ihrem Kopf. Sie hörte sich laut schreien, wie ein tödlich verwundetes Tier. Wieder wurde sie ohnmächtig vor Schmerzen.
Immer wieder kam sie zu BewuÃtsein, doch nur, um es kurze Zeit später wieder zu verlieren. War es Tag? War es Nacht? Nichts machte mehr einen Sinn. Ständig spürte sie, daà Menschen etwas mit ihr taten: sie umbetteten, ihre Stirn mit feuchten Tüchern abrieben, wohltuend kühle Lappen mit einer scharf riechenden Flüssigkeit auf ihre Unterarme legten. Sie nahm wahr, daà die Menschen sich bemühten, leise zu reden. Dennoch vermischte sich das Stimmenwirrwarr in ihren Ohren zu einem einzigen, lauten Getöse. Immer wieder versuchte sie, sich ihnen mitzuteilen. Ihr Mund war schon ganz trocken vor lauter Reden, dochniemand reagierte auf ihre Worte. Es war, als befänden sie sich in verschiedenen Welten.
Zwischendurch war ihr, als sehe sie sich selbst im Bett liegend, von oben, wie mit den Augen einer anderen Person. Quer über ihre Brust verlief ein RiÃ, wie eine Wunde. Konnte denn niemand sehen, daà ihr Herz gebrochen war? Warum nur tat niemand etwas, um die weit auseinanderklaffende Wunde wieder zu schlieÃen? Dann kamen die Erinnerungen zurück. Das schreckliche Bild, dessen sie in Scharnhausen ansichtig geworden war. Ihr Entsetzen, ihre absolute Ungläubigkeit selbst noch im Augenblick des Offensichtlichen. Ihre Flucht vor der Wahrheit, hinaus in den strömenden Regen. Weg, nichts wie weg! Wilhelms Rufe, die erstaunten Blicke des Kutschers, seine wüsten Beschimpfungen, als sie an ihm vorbeirannte, anstatt wie ausgemacht wieder bei ihm einzusteigen. Die Kälte.
Mehr und mehr Menschen standen um ihr Bett herum. Durch die weiÃe Wand ihrer geschlossenen Lider konnte sie alle erkennen: ihre Söhne, die beiden Prinzessinnen, Milena. Milena, die gute Seele, der groÃe Tränen die Wangen hinabliefen. Wilhelm mit dunklen Augen. Ihre Ãrzte. Alle waren versammelt. Drängten sich aneinander wie Schäflein in einer Herde. Der Vergleich gefiel Katharina. Sie lachte. Der Schmerz, der sofort darauf durch ihr Antlitz schoÃ, war unmenschlich. Sie spürte, daà ihre Lebenskraft immer schwächer wurde. Ein Feuer, dem das Brennholz ausging. Sie wollte so vieles sagen, zu den Kindern, auch zu Wilhelm. Kein Wort kam über ihre Lippen. War etwa schon alles gesagt? Sie konnte es nur hoffen.
Am 9. Januar 1819 schloà Katharina von Württemberg ihre Augen, um in der nächsten Welt weiterzuleben.
â Epilog â
Ulm, Württemberg, im Herbst 1820
»Das Gute sowohl in der Natur als im Leben muà seine Reife erreichen, um gut zu sein.«
K ATHARINA VON W ÃRTTEMBERG
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D as Ufer der Donau war mit gröÃeren und kleineren Gruppen von Menschen übersät wie eine Wiese mit bunten Blüten. Morgen war der groÃe Tag. Morgen würde sie losgehen, die lange Reise nach RuÃland! Die Aufregung der Menschen war deutlich spürbar.
Fast alle reisten in Gesellschaft, kaum jemand war alleine unterwegs â geschweige denn als Frau, so wie Eleonore! Trotzdem fühlte sie sich seltsam geborgen. Sie spürte zwar die neugierigen Blicke der Leute, hörte ihre leise getuschelten Fragen, doch verunsichert war sie deswegen nicht. Das BewuÃtsein, mit jedem Tag ihrer Reise Leonard ein Stück näher zu kommen, wärmte sie von innen heraus so sehr, daà ihr Strahlen selbst für andere sichtbar war.
Ja, sie war auf dem Weg nach RuÃland. Auf dem Weg in ein neues Leben. Im Grunde genommen war dies schon ihr drittes Leben, ging es ihr durch den Sinn, während sie den Kindern zusah, die sich am seichten FluÃufer vergnügten: Die Jahre auf den StraÃen Württembergs, unterwegs mit Sonia und Columbina, der Sackgreiferin â das war ihr erstes Leben gewesen, das abrupt von einem Tag auf den anderen geendet hatte. Damals, als Sonia mit ihrem unmöglichen Plan, auf dem Stuttgarter Marktplatz die Bediensteten der königlichen Hofküche zu überfallen, gescheitert war.
Mit der Arbeit als
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