Die Zuckerbäckerin
wo Not am Mann war. An diese Monate erinnerte sich Eleonore noch heute ungern. Ihr war, als läge über dieser Zeit eine groÃe, dunkle Wolke, unter deren Schatten die einzelnen Tage und Monate zu einer einzigen grauen Masse verschwammen.
Dann war Leonards Brief angekommen, ebenfalls völlig überraschend. Seine mühsamen Erklärungen, schonungslos offen. Nachdem die erste Ungläubigkeit über seine Unverfrorenheit gewichen war, hatte Eleonore nur noch weinen können. Zu groà erschien ihr sein Verrat, als daà sie ihm je hätte verzeihen können. Eine andere zu heiraten, mochte deren Lage auch noch so miÃlich gewesen sein! Dafür den Kontakt mit ihr gänzlich abreiÃen, sie mit ihren Hoffnungen allein zu lassen!
Doch nachdem das Gefühl, im tiefsten Inneren verletzt worden zu sein, ein wenig nachgelassen hatte, war Raum freigeworden für eine nüchterne Betrachtungsweise. Wer weiÃ, ob sie nicht an Leonards Stelle genauso gehandelt hätte. AuÃerdem war sie es doch gewesen, die ihm nicht nach RuÃland gefolgt war! Vielleicht hatte sie einfach zuviel verlangt? Und hatte sie nicht auch eine Zeitlang geglaubt, in Johann einen annehmbaren »Ersatz« für Leonard gefunden zu haben?
So waren im Laufe der Zeit andere Regungen in ihr aufgekommen. Mitgefühl, aber auch stille Bewunderung dafür, wie Leonard sein Schicksal gemeistert hatte. Was immer dasSchicksal ihm an Prüfungen auferlegt hatte, er hatte sie angenommen und bewältigt.
Leonard und ein Krämerladen â unter allen Offenbarungen seines Briefes war dies sicherlich eine der kleineren, und doch war Eleonore heute noch genauso überrascht wie zu Anfang. Es fiel ihr schwer, sich Leonard als Händler vorzustellen. Wann immer sie an ihn in RuÃland gedacht hatte, war es als Bauer gewesen, auf dem Hof seines Bruders. Und nun dies! Michael Plieninger war anscheinend längst wieder in der alten Heimat zurück und hatte auf einem zugewiesenen Stück Land Fuà gefaÃt. Und Leonard hatte mit der Hilfe der anderen Dorfbewohner damit begonnen, seinen Laden wiederaufzubauen. Und sie war auf dem Weg, ihm dabei zu helfen! Und gleichzeitig Lea eine Mutter zu werden. Sie hatte zwar von beidem â dem Krämerladen und dem Kleinkind â keine Ahnung, doch irgendwie würde sich schon alles finden, da war Eleonore ganz sicher. AuÃerdem gab es in Leonards Nachbarschaft genügend Frauen, die ihr am Anfang gerne behilflich wären, hatte er in einem seiner letzten Briefe geschrieben.
Trotzdem hatte sie nicht sofort alle Brücken hinter sich abgerissen. Briefe waren zwischen Carlsthal und Stuttgart hin- und hergegangen, zuerst zögerlich, krampfhaft um die richtigen Worte bemüht. Dann flüssiger, mit alter Vertrautheit.
Zeitgleich mit König Wilhelms Bekanntmachung seiner Heiratspläne mit seiner Kusine Pauline hatte Eleonore ihren Entschluà gefaÃt. Vielleicht hatten die beiden Dinge sogar etwas miteinander zu tun: Daà der König nur knapp ein Jahr nach Katharinas Tod erneut heiraten wollte, konnte Eleonore nicht verstehen. Sicher, als Staatsmann muÃte er anders handeln als die einfachen Leute, und daà aus der Ehe mit Katharina noch kein Thronfolger hervorgegangen war, mochte auch eine Rolle spielen. Trotzdem zeigte esEleonore auf schmerzliche Weise, daà im Grunde jeder Mensch ersetzbar war, selbst eine so groÃe und gütige Landesmutter wie Katharina. Da wäre eine Nachfolgerin in der Zuckerbäckerei bei ihrem Weggang erst recht schnell gefunden, darüber brauchte sie sich weià Gott keine Gedanken zu machen! Was also hielt sie noch in Stuttgart? Von da an konnte es ihr nicht schnell genug gehen. Der Brief an Leonard, ihre Erkundigungen bezüglich des Reiseverlaufs, seine Antwort, die Ausreisegenehmigung der Behörden! Am Ende war ihr nur noch ein Weg geblieben: hinauf zum Rotenberg, um Königin Katharina ein letztes Mal zu besuchen. Direkt von dort war sie nach Ulm aufgebrochen, von wo aus das erste Stück der langen Reise nach RuÃland auf der Donau losgehen würde.
In der Zwischenzeit war es dunkel geworden. Die Familie, die ihr Lager ganz in der Nähe aufgeschlagen hatte, lud Eleonore zum gemeinsamen Abendessen ein, was sie gern annahm. Doch kaum hatte man das letzte Stück Brot verzehrt, den letzten Schluck Wein getrunken, verabschiedete sie sich wieder, um ein wenig abseits ihr Nachtlager aufzuschlagen.
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