Die Zuckerbäckerin
Zuckerbäckerin hatte ihr zweitesLeben angefangen. Wer hätte geglaubt, daà sie dafür so viel Talent besa�
Eleonore schob sich ihre beiden Gepäckbündel hinter ihrem Rücken zurecht und streckte sich dann auf ihrer mitgebrachten Decke aus. Es war klug gewesen, einen Tag vor der eigentlichen Abfahrt des Schiffes hierzusein. So hatte sie sich in aller Ruhe bei dem Kapitän der »Hedwig« anmelden, hatte mit Sorgfalt bei den Händlern im Hafen die letzten Nahrungsmittel einkaufen können. Allerdings reisten längst nicht mehr so viele Menschen aus wie noch vor zwei Jahren. Wer jetzt nach RuÃland ging, so hatte der Kapitän versichert, der habe meist schon Verwandte dort, denen er nun nachreisen wolle. Auf seinen fragenden Blick hin hatte Eleonore ihm erzählt, daà es in ihrem Falle nicht viel anders war. Auch sie würde jemandem nachreisen, ihrem zukünftigen Mann nämlich. Doch erst nachdem sie ihm Leonards Briefe und die russische Genehmigung zur Einreise gezeigt hatte, war er zufrieden gewesen.
Sie seufzte. Tief drinnen verspürte sie nicht nur freudige Erwartung, sondern sie war auch ein wenig traurig. Seltsamerweise fühlte sie sich jedoch nicht unwohl dabei, sie hatte das Gefühl, als würde dies dazugehören. Die Augen geschlossen, die vergnügten Schreie der spielenden Kinder im Ohr, lieà sie endlich auch ihren schmerzlichen Empfindungen ihren Lauf.
Nun fing bereits ihr drittes Leben an, und dabei hatte sie das Gefühl, noch längst nicht mit allem, was bisher geschehen war, abgeschlossen zu haben: Sonias Tod, kurze Zeit später der völlig unerwartete, viel zu frühe Tod der Königin, an dem sie sich mitschuldig fühlte. Gutgläubig, wie sie war, hatte sie Sonias Brief an die Königin weitergegeben, ohne von dessen Inhalt auch nur eine Ahnung zu haben. Vielleicht war wirklich nur von einer harmlosen Ãberraschung des Stuttgarter Theaterensembles für die Königin die Redegewesen. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hatte der Brief tatsächlich etwas damit zu tun gehabt, daà Katharina sich auf diesen seltsamen, letztendlich todbringenden »Spaziergang« begeben hatte? Sie würde es nie erfahren. Das Gefühl der Mitschuld aber würde sie, wie vieles anderes, in ihr neues Leben mitnehmen.
Sowie auch die UngewiÃheit über die Umstände von Sonias Tod. Nachdem sie davon erfahren hatte, war sie sofort zur nächsten Gendarmerie gegangen. Doch wurde ihr dort kaum mehr gesagt, als Johann schon gewuÃt hatte. Auch ein anschlieÃender Besuch im Stuttgarter Theater hatte keine neuen Aufschlüsse gebracht. Eleonore war lediglich mit dem Gefühl weggegangen, daà ihre Schwester dort nicht sonderlich gut gelitten gewesen war. Sie schien, entgegen ihren Erzählungen, recht wenig mit den anderen Theaterleuten zu tun gehabt zu haben, Eleonore war überrascht gewesen, wie wenig diese von Sonia wuÃten. Nicht einmal, daà Sonia eine Schwester hatte, war ihnen bekannt, geschweige denn die Tatsache, daà Sonia sie in der Nacht ihres Todes in der königlichen Zuckerbäckerei besucht hatte. So war ihr nichts anderes übrig geblieben, als einsam Abschied von Sonia zu nehmen. Die eine oder andere Träne hatte sie dabei natürlich vergossen. Mochte ihre Schwester auch kein sonderlich »guter« Mensch gewesen sein, mit eingeschlagenem Kopf sollte niemand sterben müssen!
Je länger Sonias Tod zurücklag, desto weicher wurde Eleonores Herz ihr gegenüber wieder. Erstaunt stellte sie fest, daà es sich mit ein wenig Mitgefühl viel besser leben lieà als mit der Hartherzigkeit, die Sonia kaum hatte vermissen lassen.
Sie setzte sich auf. Fast hatte sie das Gefühl, als säÃe sie einem Beichtvater gegenüber, als würden ihre Sünden eine nach der anderen reingewaschen. So schmerzlich das Nachdenken über die Vergangenheit auch war, so reinigendempfand sie es gleichzeitig. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Sonias Tod und alles andere, was geschehen war, immer nur zu verdrängen? Auf der anderen Seite war ihr danach kaum Zeit zum Nachdenken geblieben: Die Arbeit in der Küche muÃte weitergehen, die Menschen auf dem Stuttgarter Schloà muÃten weiterhin mit Speisen versorgt werden. Nach Katharinas Tod waren Eleonores süÃe Köstlichkeiten zwar nicht mehr so oft gefragt gewesen, dafür hatte sie aber in anderen Küchenabteilen ausgeholfen,
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