Die Zufalle des Herzens
herauszog.
»Meinst du«, sagte Morgan, »wenn die Teeblätter wachsen, haben sie eine Ahnung, dass sie nur geboren wurden, damit jemand sie mit kochendem Wasser übergieÃen kann?«
Verschiedene Antworten fielen Dana ein, alle völlig falsch. Teeblätter haben keine Gedanken ⦠Das heiÃe Wasser verletzt sie nicht ⦠Ich bin keine Teeblattmörderin ⦠»Das ist eine interessante Frage«, sagte sie. »Was meinst du denn?«
Morgan steckte sich rasch das letzte Stückchen Toast in den Mund und zuckte die Schultern. »Ich muss noch an meinem Referat arbeiten.«
»Ich dachte, du hättest es schon abgegeben.«
»Wir haben noch eine Verlängerung bekommen, weil die halbe Klasse letzte Woche einen Magen-Darm-Infekt hatte. Er hat gesagt, wenn wir schon fertig wären, könnten wir uns für zusätzliche Punkte noch eine andere gefährdete Art vornehmen und sie mit unserem eigentlichen Referatsthema vergleichen.« Sie stand vom Tisch auf, doch bevor sie zur Tür ging, drehte sie sich für einen Moment um. »Danke für den Toast«, sagte sie. »War echt lecker.«
Bald darauf hatte Dana Bethany eine Nachricht hinterlassen und darum gebeten, sie am nächsten Tag in der Mittagspause auf ihrem Handy zurückzurufen. Dabei hatte sie nicht geahnt, dass Tony und Marie an diesem Freitag eine kleine Abschiedsfeier für sie vorbereiten würden, komplett mit einem kleinen, runden Kuchen, den Tony im Supermarkt erstanden hatte. Darauf stand einfach DANA , denn er war zu klein, um weitere GefühlsäuÃerungen aufzunehmen wie VIEL GLÃCK oder WIR WERDEN SIE VERMISSEN oder SIE WERDEN ARBEIT FINDEN UND NICHT AM ENDE MIT DEM GERICHTSVOLLZIEHER VOR DER TÃR IN KREDITKARTENSCHULDEN VERSINKEN .
Den eingegipsten Fuà auf einem Karton mit Untersuchungshandschuhen hochgelagert, saà Marie mit ihrem obligatorischen Lächeln für solche Albernheiten da. Tonys Gesicht veränderte sich dauernd, lächelnd in einem Moment, leicht beunruhigt, fast schwermütig im nächsten.
Er wartet auf eine Antwort , dachte Dana. Das macht ihn verrückt . Doch sie hatte keine Antwort für ihn. Nicht einmal über die Frage war sie sich ganz im Klaren. Er hatte sie nicht um eine Verabredung gebeten oder ihr seine Gefühle offenbart. Sie hatte das merkwürdige Gefühl, dass er froh über ihren Abschied war. Was wollen Männer überhaupt? , fragte sie sich. Abgesehen vom Offensichtlichen .
Sie war gerade dabei, den Kuchen zu schneiden und die Stücke zu verteilen, als sie ihr Handy auf dem Schreibtisch klingeln hörte, und lief hin, um dranzugehen. Wie sie gehofft hatte, war es Bethany. Dana erzählte ihr von der Besessenheit, mit der Morgan lernte und Cello übte, und dem mangelnden Interesse an ihren Freundinnen.
»Ich bin froh, dass Sie angerufen haben«, sagte Bethany. »Es ist wirklich hilfreich, mit einem Elternteil zu arbeiten, das so aufmerksam beobachtet. Und Ihre Sorge ist berechtigt. Sich von Menschen abkapseln, zwanghaftes Lernen â das gehört zu Morgans Bewältigungsstrategien, auf die sie zurzeit verstärkt zurückgreift.«
»Es ist die Hochzeit und das neue Baby, oder?«, sagte Dana. Wut auf Kenneth sprudelte in ihr hoch wie Lava. Ein weiteres Problem, das sie belastete, brauchte Morgan so nötig wie einen Kropf.
»Solche Dinge sind schlimm für Kinder, das ist sicher richtig«, sagte Bethany. »Aber viele Kinder machen Schlimmeres durch, ohne Essstörungen zu entwickeln. Ein einzelner Faktor genügt nicht, um selbstzerstörerisches Verhalten auszulösen. Sie scheint eine Tendenz zu Angst und zum Perfektionismus zu haben, und dann sind da noch die hormonellen und körperlichen Veränderungen der Pubertät. Und die Middle School ist nicht leicht â in diesem Alter sind Kinder in sozialer Hinsicht primitiv. Wenn man schon sich selbst gegenüber streng ist, wegen irgendetwas Schuldgefühle hat und obendrein noch mit einer sich wandelnden Familiendynamik konfrontiert ist, sind Kinder in der Vorpubertät ein ganz schön schwieriges Völkchen.«
Schuldgefühle? , wunderte sich Dana. »Weswegen muss sie sich denn schuldig fühlen?«
»Eigentlich gebe ich nicht gerne Einzelheiten von dem weiter, was Patienten mir erzählen, auÃer sie selbst oder jemand anders schwebt in Gefahr. Das ist nicht gut für die Vertrauensbildung.«
Zum
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