Die Zufalle des Herzens
»Natürlich nicht. Das erscheint mir sehr interessant â ich würde gerne mehr darüber erfahren.«
Marie bedachte sie mit einem skeptischen Blick. »Wie auch immer«, sagte sie, »es geht um die Kraft jeder Lebensphase und die Art, wie sie ineinandergreifen.« Sie nahm den kleinen Musselinbeutel an sich. »Kann ich den zurückhaben? Es ist mein letzter.«
»Klar«, sagte Dana. »Und vielen, vielen Dank.«
»Bis zu Ihrer nächsten Zahnreinigung«, sagte sie und ging â Schritt-Tock â den Flur hinunter.
Um drei Uhr räumte Dana ihre Sachen zusammen. Es gab nicht viel â nicht, wie bei ihrem letzten Job, Fotos von ihren Kindern oder Postkarten, die Kollegen oder Kolleginnen ihr aus dem Urlaub geschickt hatten. Sie zog ihren Mantel an und lieà den Blick ein letztes Mal über das wandern, was einmal ihres gewesen war, es nun aber nicht mehr sein würde. Einfach so. Dinge kommen und gehen. Das wusste niemand besser als sie.
Tony und Marie waren mit einer Patientin beschäftigt â ein Wurzelkanal, arme Mrs Jameson. Dana ging nach hinten und spähte in den Behandlungsraum. »Ich mach mich dann mal auf den Weg«, flüsterte sie. »Danke für alles.«
Marie sah Tony erwartungsvoll an. »Wir sind hier so gut wie fertig«, sagte sie zu ihm.
»Würde es Ihnen was ausmachen �«, fragte er sie, worauf sie ihm die Gazepackung aus der Hand nahm. »Ich bringe dich raus«, sagte er zu Dana und zog sich die Latexhandschuhe aus.
Sie überquerten den Parkplatz, und als sie zu ihrem Auto kamen, zwang sie sich, sich umzudrehen und ihm in die Augen zu blicken, auch wenn es ihr schwerfiel und sie lieber so getan hätte, als wäre es ein x-beliebiger Freitag. Sie wusste, wenn sie ihn ansähe, würde sie die Wahrheit erkennen, dass er nämlich nicht mehr ihr Chef war, der beste Chef, den sie je gehabt hatte und vermutlich je haben würde.
Und da war sie, in sein Gesicht geschrieben, die Realität von etwas â noch etwas anderem â, was zu Ende ging. »Wann sehe ich dich wieder?«, fragte sie.
»Das liegt ganz an dir.« Er streckte die Hand aus und richtete ihren Schal gerade, indem er ihn noch kuscheliger um ihren Hals band. Dann trat er zurück und verschränkte die Arme fest über seinem dünnen Arztkittel.
Ihn so zu sehen, wie er, nur um bei ihr zu sein, zitternd vor Kälte auf dem reifbefleckten Parkplatz stand, löste bei ihr eine Welle von Schuldgefühlen aus. Sie konnte nicht ertragen, was sie ihm antat, wusste aber nicht, wie sie dem ein Ende bereiten sollte. Sie umarmte ihn, worauf er ihr die Arme um die Taille legte und sie an sich zog, aber nicht zu fest. Er beherrschte sich.
»Ich bin mir nicht sicher«, hauchte sie. »Ich weià es noch nicht.«
»Okay«, murmelte er, ihre Wange küssend. »Du weiÃt, wo du mich findest.«
»Es tut mir leid«, sagte sie.
»Nein«, beharrte er, und dabei konnte sie den Schmerz spüren, der von seinem Körper in ihren auszustrahlen schien. »Das muss es nicht.« Und er lieà sie los und ging wieder hinein.
- 47 -
D er Samstag war für Dezember in New England warm, laut Wetterbericht sollte das Hoch nahezu tropische zehn Grad bringen. Dana erwachte mit dem Bedürfnis, sich zu bewegen, denn das schien das Einzige zu sein, was vielleicht ihre Sorge um Morgan und ihre Unentschlossenheit in Bezug auf Tony lindern konnte. Und bis zu Kenneths Hochzeit mit seiner stetig dicker werdenden Freundin war es nur noch eine Woche.
Ich muss hier raus , dachte sie.
Doch als sie an Morgans Zimmer vorbeikam und sie um acht Uhr schon über ihre Schulhefte gebeugt sah, kam ihr eine Idee, und sie ging hinunter in den Keller, wo sie Grady vor dem Fernseher antraf. Er lag der Länge nach auf dem Sofa ausgestreckt, als wäre er so dort hingeschleudert worden, ein Gefangener der Blinklichter und quengeligen Trickfilmstimmen vor ihm.
Wir müssen alle hier raus .
Sie ging zum Fernsehzimmer, wo Alder sich auf ihrer Seite der Schlafcouch um ein Kopfkissen gerollt hatte. Jet lag mit dem Gesicht nach unten, sabbernd, ein Bein zur anderen Seite hinausgestreckt. »Mädels«, wisperte Dana.
»Buh«, schnaufte Alder.
»Mädels« , flüsterte Dana mit Nachdruck.
»Verpiss dich«, brummte Jet, noch im Halbschlaf.
»Das ist mein Haus!«, sagte Dana. »Sag du mir nicht , ich soll mich
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