Die Zufalle des Herzens
Freundlichkeit. »Dieses Problem haben ganz schön viele Kids«, sagte er. »Ich lade Morgan zu einem kleinen vertraulichen Gespräch ein, und dann schauen wir mal, was mit ihr los ist.«
Als Dana auflegte, überkam sie ein leichtes Grausen. Sie hatte gerade einem Fremden erzählt, dass ihre Tochter eine Essstörung hatte. Er ist ein Profi , besann sie sich. Er weià viel besser als ich, was zu tun ist .
Widerstrebend zog sie den Zettel hervor, den Dr. Sakimoto ihr gegeben hatte und der schlicht »Informationsquellen« überschrieben war. Das Ganze war unterteilt in »Kieferorthopädie«, »Zahnbehandlungsangst« und »Andere wichtige Fragen«. Sie goss sich ein Glas zuckerfreie Limonade ein, ging in Kenneths Arbeitszimmer â mein Arbeitszimmer, verbesserte sie sich â und fing mit der Website der National Eating Disorders Association an, auf der sie herumklickte und von der aus sie Links zu neuen Seiten folgte.
»Bulimie ist nicht nur ein bestimmtes Verhalten, sondern ein zyklisches Verhaltensmuster«, hieà es auf einer Website. »Ein typisches Szenario sieht so aus, dass die Scham der Bulimikerin in Bezug auf ihren Körper sie dazu veranlasst, ihre Nahrungsaufnahme einzuschränken. Am Ende wird ihr Hunger jedoch so groÃ, dass sie viel zu viel isst, manchmal mehrere Tausend Kalorien auf einmal. Die Beschämung über den Kontrollverlust und die Angst vor dem Zunehmen lassen sie verzweifelt versuchen, ihr Verhalten rückgängig zu machen: Sie erbricht. Danach fühlt sie sich vorübergehend besser, aber schlieÃlich hat auch das Erbrechen Scham und Angst zur Folge, und die dadurch entstehende Spannung treibt sie von Neuem dazu, sich zu überessen.«
Scham , wurde Dana bewusst. Es dreht sich alles um Scham . Dieser Gedanke sauste in ihrem Kopf herum wie eine Flipperkugel und prallte an wunden Punkten ab, von deren Existenz sie kaum etwas gewusst hatte.
Eine andere Website erklärte: »Bulimikerinnen sind nicht immer dünn. Durch das Erbrechen kann die gewaltige Kalorienmenge, die während des Essanfalls aufgenommen wird, zwar teilweise ausgeglichen werden; als Mittel der dauerhaften Gewichtsabnahme ist es jedoch ziemlich wirkungslos.«
Dana klickte auf den Link zu einer Seite mit Ratschlägen für Eltern. Der erste Punkt schien sie geradezu anzuspringen: »Achten Sie darauf, wie Sie Ihren eigenen Körper wahrnehmen. Vermitteln Sie Ihren Kindern nicht das Gefühl, dass Sie mit Ihrer Figur unzufrieden sind. Das würde sie zu der Ãberzeugung bringen, dass sie ebenfalls selbstkritisch sein sollten.« Natürlich war Dana unzufrieden mit ihrer Figur, ebenso wie mit einigen anderen Dingen. sie sprach nicht darüber â warum sollte sie andere mit ihren Unsicherheiten langweilen? Aber hatte sie Morgan diese Unzufriedenheit irgendwie »spüren lassen«? Morgan war ein einfühlsames Mädchen; wie sollte Dana dieser subtilen Informationsübertragung entgegenwirken? Ihr eigenes Lob singen? Lügen?
Zur Mittagessenszeit ging sie in die Küche und bereitete sich in der Mikrowelle eine Kartoffel zu, wobei sie wie immer sorgfältig darauf achtete, nicht zu viel Butter zu nehmen. Nach allem, was sie morgens gelesen hatte, wollte sie sich aber auch nicht selbst »einschränken«. Wo ist die Grenze? , fragte sie sich. Wie viel ist genug, aber nicht zu viel?
Dana schrubbte im Kühlschrank einen hart gewordenen Klecks ApfelsoÃe weg, als Morgan aus der Schule kam und sagte: »⦠es ist so nervig, wie sie alle paar Sekunden WAHNSINN ! sagt, so als müsste man hinter alles ein Ausrufezeichen setzen oder so.«
»Ich weiÃ.« Diese zweite Stimme war nicht sofort zuzuordnen. »Das meiste ist so langweilig, dass man es nicht mal erwähnen bräuchte.«
»Wirf deine Jacke einfach da auf die Bank«, sagte Morgan. »Eigentlich sollen wir sie ja aufhängen, aber das machen wir nie.« Die Mädchen kamen in die Küche. »Mom«, sagte Morgan mit einem Ausdruck von heimlichem Stolz, »das ist Kimmi.«
»Natürlich!«, sagte Dana heiter. Morgan kniff die Augen zusammen. Dana schraubte ihr Lächeln zurück. »Von der Party. Wie geht es dir?«
»Gut«, sagte Kimmi. »Und Ihnen ?« Dana fiel auf, dass das Mädchen die Lippen leicht geöffnet hielt, was dazu führte, dass ihre Wangen eingesogen wurden.
»Habt ihr Hunger, ihr
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