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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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An seiner Stimme hörte ich, dass er wusste, wovon er sprach. Vielleicht war es sogar der Grund, warum er so lange gegen die anderen Wölfe gekämpft hatte, bis er selbst ihr Anführer war.
    » Und du glaubst, Ellis und Miles gehören zu dieser Sorte?«
    Das Licht reichte gerade noch aus, um seine Kopfbewegung als ein Nicken zu erkennen. » Miles noch mehr als Ellis, der ihm nur hinterherhechelt wie ein Welpe.«
    » Was auch immer sie mit mir vorhaben, am Ende bin ich also tot.«
    Es war beinahe tröstlich, meine Zukunft so klar vor mir zu sehen, oder besser gesagt: die Zukunft, die mich erwartete, falls ich nicht schnell genug war.
    » Dazu wird es nicht kommen.« Es klang wie ein Schwur. » Schlaf ein bisschen, Zwei. Ich übernehme die erste Wache.«

VERLUSTE
    Es war kurz vor Tagesanbruch, blasses Licht fiel durch das Blätterdach. Ich lag in meiner Decke und lauschte den Geräuschen des Waldes. Sie klangen abwartend. Kein Vogelzwitschern, keine Tiere, die durchs Unterholz raschelten, nur eine verstohlene Bewegung, nicht weit von unserem kleinen Lager entfernt. Ein Knirschen und Knacken.
    Etwas schnüffelte und brummte leise vor sich hin– Geräusche, die ich noch nie von einem Freak gehört hatte. Aber ich hatte auch noch nicht erlebt, dass einer von ihnen allein im Wald auf die Jagd ging. Die Freaks, die in den Tunneln lebten, jagten im Rudel und fielen gemeinsam wie im Blutrausch über ihre Beute her. Sie hatten wenig gemeinsam mit ihren stärkeren Artgenossen, die Oben lebten.
    Ein gequälter Todesschrei zerriss die Luft und verstummte. Ich hörte schmatzende Geräusche und die unverkennbaren kehligen Stöhnlaute, die ein Freak beim Fressen machte. Ich schloss die Augen. Den Geräuschen nach konnte es nicht mehr als einer sein, denn sonst würden sie sich um die Beute streiten. Wie weit war er von unserem Lager entfernt?
    Ich setzte mich auf und sah, dass Pirscher ebenfalls wach war. Ellis, dieser Trottel, war während seiner Wache eingeschlafen. Wahrscheinlich war er es auch, der Bleichs Entführer unbemerkt ins Lager gelassen hatte. Ich kämpfte den Impuls nieder, ihm die Kehle durchzuschneiden. Du hast keinen Beweis, sagte ich mir, und du bist kein Monster, also wirst du es nicht tun. Miles schlief ebenfalls noch. Nur Pirscher und ich hatten diesen leichten Schlaf, der es einem erlaubt, jedes verdächtige Geräusch wahrzunehmen. Da, wo wir herkamen, hätten wir sonst nicht überlebt.
    Mit ein paar knappen Handzeichen bedeutete er mir, dass wir in zwei Richtungen ausschwärmen sollten, um den Freak in die Zange zu nehmen.
    Ich atmete einmal tief durch, zog meine Messer und schlüpfte lautlos aus meiner Bettrolle. Der weiche Boden machte es umso leichter. Unten wäre es viel schwieriger gewesen bei all dem Schotter und dem zersplitterten Glas. Ohne mich noch einmal nach den anderen beiden umzusehen, verschwand ich in dem dichten Blattwerk.
    Es war nur einer, wie ich es mir gedacht hatte. Das Herz blieb mir beinahe in der Brust stehen, bis ich endlich nahe genug heran war, um mich zu versichern, dass es weder Frank noch Bleich war, den er gerade fraß. Es war ein Hirsch, aber selbst das war kaum noch zu erkennen, weil er bereits so viel von dem Tier verschlungen hatte. Weiße Knochen schimmerten durch die klaffenden Bissstellen. Blut quoll aus den Wunden, und der Freak tauchte sein ganzes Gesicht hinein. Rot rann es über sein Kinn bis hinunter auf die Brust.
    Ich stürmte los, bevor er meine Witterung aufnahm, und Pirscher kam von der anderen Seite. Unsere Messer trafen ihn gleichzeitig, und er sank tot über seiner Beute zusammen. Meine Gedanken setzten wieder ein, und erst jetzt merkte ich, wie sehr ich gehofft hatte, Bleich hier zu finden, gesund und wohlauf. Ich begann am ganzen Körper zu zittern.
    Pirscher legte mir die Hände auf die Schultern. In seinen Augen sah ich das Feuer, das in seinem Herzen für mich brannte, und die Wärme tröstete mich. Dann senkte er den Blick und verschloss seine Gefühle wieder vor mir. Ich sollte mich nicht von ihm trösten lassen, wenn ich nichts von ihm wollte. Aber mein Schmerz machte mich empfänglich für ihn, und als er mich an sich zog, wehrte ich mich nicht, sondern wunderte mich nur, woher er diese Zärtlichkeit nahm. Als wir uns begegneten, war er fast mehr Tier als Mensch gewesen, und jetzt streichelte er sanft meinen Rücken. Solange es nicht mehr wird, sagte ich mir, ist nichts Falsches daran. Dennoch durfte ich ihm keine Hoffnungen machen, also stand ich

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