Die Zuflucht
Bleich und Frank begegnen würden, die ihre Entführer überwältigt und sich befreit hatten. Aber nichts dergleichen geschah, und allmählich wurde es dunkel. Ab und zu hörte ich, wie sich etwas zwischen den Bäumen bewegte, und ich musste all meinen Mut zusammennehmen, um weiterzugehen. Das hier war keine Patrouille wie Unten in den Tunneln, wo ich ich aufgewachsen war. Über die Wälder hier und die Möglichkeiten, sich darin zu verstecken, wusste ich so gut wie nichts.
Aber ich tat es für Bleich und drängte meine Furcht zurück, bis ich sie nicht mehr spürte. Keiner sprach ein Wort, selbst Ellis und Miles nicht, die endlich begriffen hatten, welche Gefahr die Freaks mittlerweile darstellten. Der Wald war zu einem finsteren, bedrohlichen Ort geworden. Immer wieder sahen wir an Schnüren befestigte Knochen in den Ästen hängen. Sie klapperten im Wind. Offensichtlich waren sie als Warnung gedacht wie die Köpfe unserer Gefallenen, die sie neben dem Feld auf Pfähle gespießt hatten.
Bis vor Kurzem waren die Freaks nur eine Bedrohung gewesen, die ich abwenden wollte, um die Schwächeren zu schützen, aber das war jetzt vorbei. Ich hasste sie aus tiefstem Herzen, so sehr, dass mein Blut beinahe überkochte. Sie hatten mir den Menschen genommen, den ich liebte. Ich kannte das Wort noch nicht lange, aber ich verstand seine Bedeutung instinktiv. Es stand für etwas, das sich weder in Worte fassen noch sonst wie erklären ließ. Es war einfach da wie die Sonne oder wie der Wasserfall, dessen Anblick mir in den Ruinen den Atem verschlagen hatte. Meine Liebe zu Bleich machte mich stark. Sie gab mir die Kraft, nicht aufzugeben. Ich würde ihn suchen, und wenn ich dafür bis ans Ende der Welt gehen musste. Ich spürte, die Liebe hatte mich nicht schwach oder weich gemacht, sondern so unglaublich entschlossen, wie ich es noch nie in meinem Leben gewesen war.
Kurz darauf wurde es vollkommen dunkel. Wir waren erst sehr spät aufgebrochen und kaum vorangekommen mit unserer Suche, aber es blieb uns nichts anderes übrig, als sie für den Moment abzubrechen. In der Nacht würden wir nur ihre Spur verlieren. Als Pirscher erklärte: » Wir müssen jetzt das Lager aufschlagen«, hätte ich ihm trotzdem am liebsten einen Kinnhaken verpasst.
Aber er hatte recht, jedes Weitergehen war zwecklos, egal wie sehr ich es auch wollte. Falls wir uns verirrten und noch mehr Zeit verloren, würde das Frank und Bleich das Leben kosten. Ich redete mir ein, wenn wir nicht weiterkonnten, mussten die Freaks wahrscheinlich auch eine Pause einlegen. Die Möglichkeit, dass sie vielleicht die ganze Nacht hindurch weitermarschierten, verdrängte ich.
» Kein Feuer heute«, sagte Ellis. » Das ist zu riskant.«
Ich nickte. Er mochte Miles’ Freund sein und ein Idiot, aber in der Wildnis schien er sich auszukennen.
Niedergeschlagen aßen wir unseren Zwieback mit Trockenfleisch und spülten ihn mit kleinen Schlucken Wasser hinunter. Keiner sprach ein Wort. Verzweifelte Gedanken plagten mich, die ich nicht auszusprechen wagte. Es hätte sich angefühlt wie ein Verrat an Bleich, und ich würde ihn nie im Stich lassen.
Als die Tunnelbewohner mich entführt hatten, war Bleich nicht in Panik ausgebrochen, sondern hatte nach mir gesucht. Jeder andere hätte einfach kehrtgemacht und in College die Nachricht von meinem Tod überbracht. Ständig füllten neue Jäger, die gerade erst ihren Namen bekommen hatten, die Lücken in unseren Reihen und ersetzten jene, die in Erfüllung ihrer Pflicht ihr Leben gelassen hatten. Doch für Bleich war ich unersetzlich gewesen, damals schon, und das Gleiche galt jetzt für ihn.
» Wie geht’s dir?«, fragte Pirscher und setzte sich zwischen mich und die beiden anderen Männer. Falls sie während der Nacht irgendetwas versuchten, würde er sie umbringen; darauf konnte ich mich verlassen. Nicht zum ersten Mal wünschte ich, wir könnten einfach Freunde sein, und ich würde nicht ständig spüren, dass er eigentlich viel mehr von mir wollte. Trotz seines Schmerzes und der zurückgewiesenen Zuneigung tat er sein Bestes, um Bleich und Frank zu finden. Und das nicht, weil sie seine Freunde waren. Er tat es für mich.
» Einigermaßen«, antwortete ich und überlegte, ob ich wirklich mit ihm darüber sprechen sollte. Immerhin hatte er gefragt. » Diese Ungewissheit ist entsetzlich.«
» Manchmal stellen sich die Dinge als gar nicht so schlimm heraus, wie sie scheinen«, erwiderte er.
Manchmal .
Es war eine kalte Nacht,
Weitere Kostenlose Bücher