Die Zuflucht
nur starr da und ließ es über mich ergehen. Als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte, machte ich mich von ihm los und murmelte: » Danke.«
» Gehen wir zurück«, erwiderte er, ohne mich anzusehen.
Wieder hatte ich ihn verletzt, und ich hasste mich dafür. Ich hatte weder ihn noch Bleich verdient. Sie wollten mich nur, weil ich anders war, weil ich kämpfen und für mich selbst sorgen konnte. Normale Mädchen waren anders, das hatte Mrs. James in der Schule ausreichend klargestellt, und nach Unten konnte ich nicht zurück. Die Enklaven, mit deren Regeln ich aufgewachsen war, existierten nicht mehr. Trauer überrollte mich wie eine Steinlawine.
Mittlerweile waren auch die anderen beiden aufgewacht und aßen ihr Frühstück. Ellis biss in ein Stück Zwieback und witzelte, was Pirscher und ich denn heimlich im Wald getrieben hätten, während er mich begierig anstarrte.
Miles warf mir einen verächtlichen Blick zu. » Und ich dachte, du hättest ein Auge auf den Dunkelhaarigen geworfen. Ich dachte, er wäre der Grund, warum wir hier Leib und Leben riskieren.«
» Und für Frank Wilson.« Doch wir beide wussten nur zu gut, dass ich kaum auf dieser Suchaktion bestanden hätte, wenn nur er entführt worden wäre. Ich mochte seine Schwester, weil sie nett zu mir war, aber das reichte nicht, um für Frank mein Leben aufs Spiel zu setzen.
Miles schnaubte nur und packte seine Sachen zusammen.
Die beiden Männer würden nicht mehr lange warten, das wusste ich jetzt. Es ging ihnen nicht darum, die Verschollenen zu finden, und wir waren tief genug im Wald, damit sie ungestraft zuschlagen konnten.
Pirscher und ich aßen schweigend unser Frühstück. Den toten Freak im Wald erwähnten wir nicht.
Miles fand die Fährte aus purem Zufall, als er sich zwischen die Bäume verzog, um seine Blase zu entleeren. Dort, zwischen dem Gestrüpp, entdeckte er die Spuren eines heftigen Kampfes. Es könnte auch ein Raubtier gewesen sein, aber ich glaubte es nicht. Der aufgewühlte Boden sah aus, als hätten Frank und Bleich hier um ihr Leben gekämpft. Auch Bleich hat noch nicht aufgegeben, dachte ich. Er versucht, zu mir zurückzukommen. Der Gedanke war der einzige Hoffnungsschimmer in meiner Verzweiflung, und ich schob beiseite, was ich gefühlt hatte, als Pirscher mich umarmte. Selbst bei Draufgänger wäre ich weich geworden, und der war viel zu alt, um sich für ein so junges Mädchen wie mich zu interessieren.
Ich hatte nicht besonders gut geschlafen letzte Nacht, weil ich ständig mit einem Überfall rechnete. Der Freak, den wir bei unserem Lager getötet hatten, unterstrich die Gefahr nur. Ich dachte wieder an den Schuss, der im ganzen Wald zu hören gewesen war. Ich musste ruhig bleiben und einen kühlen Kopf bewahren. Wenn ich jetzt die Nerven verlor, war die Chance gering, es lebend zurück zum Vorposten zu schaffen, geschweige denn, Bleich zu finden.
Pirscher ging zu Miles, um die Fährte zu inspizieren, und ich folgte ihm. Ich konnte nichts Konkretes aus den Spuren ablesen und wartete angespannt darauf, was Pirscher zu sagen hatte. Wenn sowohl der Luchs als auch Frank und Bleich den Freaks zugesetzt hatten, konnten sie nicht mehr allzu schnell weitermarschieren. Wenn wir uns beeilten, müssten wir sie einholen können.
» Es waren vier oder fünf, die hier miteinander gekämpft haben«, sagte Pirscher schließlich. » Zwei wurden niedergeschlagen, und die anderen haben sie weggetragen. Das sieht man an den tiefen Fußabdrücken, die von hier wegführen. Sie sind da lang.«
» Dann nichts wie los«, sagte Ellis. » Ich kann’s kaum erwarten, endlich ein bisschen Blut zu vergießen.«
Miles schwieg und musterte mich mit schmutzigen Blicken. Ich widerstand dem Drang, nach meinen Narben zu tasten, um mich zu beruhigen. Sollte er es nur versuchen. Ich war kein leichtes Opfer. Ich hielt seinem Blick stand, bis er wegschaute und sich zu Ellis gesellte. Ich übernahm wieder die Nachhut, was mir ohnehin am liebsten war.
Wir sprachen kein Wort und hielten nur ab und zu an, um etwas zu essen und zu trinken. Der Marsch war anstrengend, und ich musste jede Sekunde bereit für einen Kampf sein, also musste ich meine Kräfte schonen. Mit jedem Schritt wuchs meine Hoffnung, Bleich zu finden.
Dann, am Nachmittag, passierte es.
Wir hatten das Ende des Waldes erreicht und stolperten mitten hinein in einen Jagdtrupp der Freaks. Es waren sechs, sie waren kräftig, ausgeruht und gut genährt. Der größte stieß einen Schrei aus,
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