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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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Ich hab gehört, du pinkelst im Stehen«, sagte der Kleinere.
    Sein Kumpan machte ein seltsames Geräusch, eine Kombination aus einem Schnauben und einem Kichern, als hätte sein Freund etwas Schlimmes und gleichzeitig unglaublich Lustiges gesagt. Dann wurden beide rot.
    Von mir schienen sie das Gleiche zu erwarten, aber ich schaute sie nur an, bis sie nervös von einem Fuß auf den anderen traten.
    » Warum rennst du um die Schule?«, fragte der Kleinere schließlich. » Fällt dir nichts Besseres ein?«
    » Wahrscheinlich glaubt sie, sie wird verfolgt«, flüsterte der andere.
    Ich hatte es so satt, diese überheblichen, verzogenen Bälger, die so taten, als wäre ich diejenige, die nicht ganz richtig war. Die beiden hatten eine Lektion verdient, aber wenn ich sie ihnen erteilte, würde ich Ärger bekommen. Irgendwie schaffte ich es, mich zurückzuhalten; dann hörte ich, wie jemand von hinten herankam.
    » Das reicht jetzt«, sagte Bleich.
    Er redete kein Wort mit mir, und trotzdem trat er als mein Beschützer auf. Drei Worte von ihm genügten, um die Kerle zu verscheuchen. Ich hätte dazu meine Fäuste gebraucht, und das machte mich noch zorniger. Schon zweimal war ich wegen einer Schlägerei zu Oma Oaks geschickt worden mit dem Hinweis, beim nächsten Mal würde man mich auspeitschen. Dabei tat ich diesen Bälgern nie etwas zuleide. Sie waren es, die mich nicht in Ruhe ließen. Leider wollte das nicht in Mrs. James’ Kopf. Für sie war ich die Aufrührerin und würde es immer bleiben.
    » Danke.« Ich blickte zu Boden und schob mich an Bleich vorbei. Ich wollte nicht, dass er die Überraschung und vor allem die Sehnsucht in meinen Augen sah.
    Noch bevor er etwas erwidern konnte– falls er es überhaupt vorgehabt hatte–, kam Mrs. James heraus und scheuchte uns nach drinnen. Zum Glück war das Schuljahr fast vorüber. Ich war sicher, die Lehrerin hätte Wege gefunden, mich für die restlichen Monate zu quälen, wie es außer ihr wahrscheinlich nur Seide gekonnt hätte. Aber das spielte keine Rolle. Ich wusste, wer ich war und was ich geleistet hatte. Eine Jägerin brauchte die Anerkennung dieser Unwissenden nicht.
    Ich fuhr über die Narben auf meinen Armen, als müsste ich mich versichern, dass ich sie nicht nur geträumt hatte. Die Menschen hier hatten mir das Leben gerettet, und gleichzeitig sperrten sie mich in einen Käfig, in dem ich nicht ich selbst sein durfte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war ich Teil einer Gemeinschaft gewesen– ein wertvoller Teil, und vielleicht würde es eines Tages wieder so sein.
    Irgendwo, irgendwann.

GEHEIMNISSE
    Nach der Schule ging ich zu Oma Oaks, die gerade mit Kochen beschäftigt war. Die Küche war mit schimmerndem Holz ausgekleidet, hübsche Vorhänge mit Spitzen daran hingen vor den Fenstern, Löffel und Töpfe baumelten von Haken, Schränke und Regale waren voll mit Essen. Wir setzten uns an den Tisch, und sie fragte mich nach meinem Tag. Anfangs fand ich es ein eigenartiges Ritual, aber Oma Oaks war fest entschlossen, mir eine gute Ziehmutter zu sein. Andererseits hatte ich nie eine Mutter gehabt und wusste nicht recht, was ich mit ihrer Aufmerksamkeit anfangen sollte. Außerdem würde die Wahrheit – dass die anderen mich ständig ärgerten und ich den Unterricht hasste – sie nur unglücklich machen, also sagte ich jedes Mal: » War ganz in Ordnung.«
    » Nur in Ordnung?«
    Ich wusste nicht, was sie von mir erwartete. Sollte ich mich tatsächlich bei ihr beschweren? Unten hätte ich dafür nur eine Ohrfeige bekommen. Doch die Frage fühlte sich an wie ein Test, und ich wollte ihn bestehen. » Mrs. James meckert dauernd an mir herum.«
    » Störst du im Unterricht?«
    Was soll das denn bedeuten?
    » Ich passe nur nicht immer auf, wie sie es gerne hätte. Vor allem in Geschichte.«
    Sie runzelte die Stirn. » Nach allem, was du in Gotham erlebt hast, müssen dir die Geschichtsstunden ziemlich langweilig vorkommen.«
    Ich nickte und wandte mich dem Käsebrot zu, das sie für mich hergerichtet hatte. Mehrmals am Tag essen zu können war das Beste an Erlösung. Es gab Frühstück, Mittagessen, eine Zwischenmahlzeit und dann auch noch Abendessen, und jede Mahlzeit bestand aus deutlich mehr als nur einem Fetzen Fleisch und ein paar Pilzen. Kein Wunder, dass alle hier so gesund aussahen. Erlösung war unglaublich reich, und das viele gute Essen ließ mich all die Einschränkungen manchmal beinahe vergessen.
    » Nun ja, nicht jeder ist zum Professor geboren«,

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