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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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anstrengen müssen.«
    Wenn er etwas wollte, gab er nicht so schnell auf, das musste ich ihm lassen. Und er behandelte mich weit respektvoller als beispielsweise Gary Miles. Trotzdem hatte ich Zweifel, weshalb er so versessen auf mich war. Wahrscheinlich war ich eine Herausforderung für ihn, oder die Erklärung war sogar noch einfacher: Er sah mich als eine starke Frau, die kämpfen und für sich selbst einstehen konnte, und damit als eine angemessene Partnerin.
    » Trotzdem möchte ich, dass du mir versprichst, dich an Draufgängers Worte zu halten. Du hast mich noch nie belogen.«
    Er nickte zögernd. » Ich werde nichts unternehmen, solange wir keinen Befehl dazu erhalten.«
    » Das genügt mir. Danke.«
    Ich drehte mich um und ging zurück zu Bleich. Pirschers hungriger Blick folgte mir, und in der Nacht träumte ich von einem Jungen mit Wolfsaugen, der nur darauf wartete, mich zu verschlingen.

ENTFÜHRT
    An jenem schrecklichen Tag war alles wie immer: Ich stand auf, machte meine Zähne sauber und wusch mich in meinem Zelt. Die anderen mussten sich alle eines teilen, aber nachdem ich die einzige Frau war, hatte ich ein eigenes. Ab und zu beschwerte sich einer der Männer deswegen, aber wir waren alle zu erschöpft, als dass jemand wirklich Ärger gemacht hätte. Es war ein harter Sommer gewesen, und keiner war ernsthaft der Meinung, dieses kleine Sonderrecht wäre übertrieben.
    Als Bleich beim Frühstück nicht zu mir kam, ging ich ihn suchen. Ich lief das gesamte Lager ab, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Alles war noch da, sogar seine Waffen, und da wusste ich, dass etwas nicht stimmen konnte. Ich schlüpfte in das Zelt, das er sich mit Frank teilte, und wollte ihn fragen, ob er etwas wusste, aber Frank war ebenfalls verschwunden. Ich sah nur die zerwühlten Bettrollen auf dem Boden liegen. Ganz langsam kniete ich mich hin, und da sah ich es: Blut. Und der unverkennbare Geruch von fauligem Fleisch.
    Die anderen hatten mir die Geschichte von dem gestohlenen Feuer nicht geglaubt. Keiner von ihnen. Unsere Wachposten schienen nachts nach wie vor einzuschlafen. Nach unserem letzten Sieg wähnten sie sich in Sicherheit. Vor allem während der letzten Nacht, als die Freaks sich in unser Lager schlichen und zwei unserer Männer entführten… Wir hatten noch keinen Ersatz für unsere Verluste erhalten, was bedeutete, dass wir jetzt nur noch zu sechzehnt waren.
    Und Bleich gehörte nicht dazu.
    Bleich. Mein Mann .
    Ich biss mir in die Hand, um einen Schrei zu unterdrücken, bis Blut unter den Zähnen hervorquoll. Der körperliche Schmerz half mir, den seelischen zu ertragen. Bleib ruhig, sagte ich mir. Ich musste nachdenken. Da fiel es mir ein: Draufgänger würde wissen, was zu tun war. Ich schoss aus dem Zelt und rannte zu ihm.
    Er war immer noch mit dem Frühstück beschäftigt. Seine dicken Augenbrauen hoben sich. » Was ist los?«
    » Wir müssen einen Suchtrupp zusammenstellen. Bleich und Frank wurden heute Nacht entführt.«
    » Jetzt mal ganz langsam, Mädchen. Sie wurden entführt ?«
    Ich packte ihn ungeduldig am Arm und schleifte ihn zu dem Zelt. Mit einer ängstlichen Geste bedeutete ich ihm, selbst nachzusehen.
    Draufgänger ließ sich Zeit. Er holte die Decken heraus, hielt sie ins Licht und drehte sie hin und her.
    » Das ist Blut«, sagte er schließlich. » Eine ganze Menge davon. Wie von einer Kopfwunde.«
    Sie mussten ihn bewusstlos geschlagen haben. Das war die einzige Möglichkeit, Bleich ohne einen Kampf, der alle in hundert Meter Umkreis aus dem Schlaf gerissen hätte, aus dem Lager zu entfernen. Dann hatten sie ihn davongeschleppt. Aber wir würden ihn finden. Ich würde ihn zurückbekommen. Ich weigerte mich, etwas anderes auch nur in Betracht zu ziehen.
    » Sag mir, wen du entbehren kannst, dann gehen wir sofort los.«
    Draufgänger blinzelte mich verwirrt an. » Warum? Ich weiß, dass ihr euch nahegestanden habt, aber ich sehe keinen Grund, nach ihren Leichen zu suchen.«
    Die nackten Worte trafen mich wie ein Hammerschlag, und ich schlang die Arme um meinen Brustkorb. Die Erkenntnis schmerzte mich wie die Sonne, die vom Himmel herabbrannte. Freaks machten keine Gefangenen. Die beiden waren nicht mehr da, also waren sie tot.
    Ich musste an Oma Oaks’ Sohn denken, an Daniel, wie er tapfer allein hinaus in die Wildnis gegangen war, weil er glaubte, das kleine Mädchen retten zu können. Scham stieg in mir auf. Wenn ich es nicht wenigstens versuchte, war ich kein bisschen besser als die

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