Die Zuflucht
auf und ab und winkte uns zu, aber ich hatte keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, denn draußen hörte ich bereits Draufgängers Stimme. Er war mit den restlichen Patrouillenmitgliedern ans Tor gekommen, um die Pflanzer zu den Feldern zu eskortieren. Wir würden mit ihnen gehen, damit Pirscher und Hobbs ihren Erholungsurlaub antreten konnten. Nach einem kurzen Wortwechsel öffneten die Wächter das Tor, und wir marschierten hinaus in den nassen, grauen Tag.
Der Regen ließ die Gesichter um mich herum aussehen, als würden alle Daniels Tod beweinen. Natürlich war ich aufgewühlt von Oma Oaks’ Geschichte, aber ich hatte offensichtlich zu lange nach den Regeln des Mädchens in mir gelebt. Für Zwei, die Jägerin, galten andere. Ich reihte mich ein, und das vertraute Gewicht der Messer an meinen Oberschenkeln gab mir das Gefühl, wieder ich selbst zu sein. Denn ich war eine Kämpferin, auch wenn Mondschein und Musik mich dazu bringen konnten, eine andere zu sein, auch wenn die Liebe meiner Pflegemutter mich tief in meinem Innersten berührte.
Ich vertraute meiner weichen Seite nicht, zumindest nicht ganz, denn sie hatte etwas Heimtückisches. Wenn ich ganz zu dem Mädchen im Spiegel wurde, lief ich Gefahr, die Fähigkeit zu verlieren, mich körperlich und emotional zu schützen. Also weigerte ich mich, dieses Mädchen zu sein. Und doch gab es diese zwei Hälften in mir, die einen stillen Krieg gegeneinander führten.
Wir erreichten den Vorposten ohne Zwischenfälle. Ich behielt die Umgebung fest im Auge, aber das Wetter war so schlecht, dass selbst die Freaks lieber in ihren trockenen Hütten blieben– was eine Menge über ihre neu erwachte Intelligenz und unsere verzweifelte Lage aussagte. Wir hatten keine Wahl. Die Pflanzer mussten sich um die Felder kümmern.
Und unsere Aufgabe war es, sie zu beschützen.
Der Sommer kam schnell, auch wenn das Wetter manchmal etwas rau war. Ich gewöhnte mich an meine Pflichten, und die Männer schienen mich zu akzeptieren. Die Feldfrüchte gediehen unter den kundigen Händen der Pflanzer, deren Schutz unsere wichtigste Aufgabe war. Sie waren nervös und ängstlicher als je zuvor, Erlösung auch nur einen Tag lang zu verlassen. Ich konnte ihre Angst gut nachvollziehen. Ich sprach mit Tegan, so oft es ging, aber sie hatte kaum Zeit, weil wir nur so wenige Pflanzer hatten. Ab und zu überbrachte sie mir Nachrichten von den Oaks. Nichts Wichtiges, aber es half mir, mich daran zu erinnern, weshalb ich hier war.
» Stummies!«, brüllte der Mann auf dem Wachturm und riss mich aus meinen Gedanken.
Es war ein heftiger Angriff, aber wir hatten lange genug trainiert, und niemand brach in Panik aus. Ich zog meine Messer und machte mich bereit. Diese hier waren groß, Bestien geradezu im Vergleich zu denen, die wir in dem Dorf gesehen hatten, und sie waren deutlich in der Überzahl.
Dank des Scharfschützen auf dem Turm lag die Hälfte von ihnen blutend auf dem Boden, noch bevor sie uns erreichten. Ich hielt die Stellung, während andere zu den Feldern rannten, um die Pflanzer zu holen. Entsetzen stieg in mir auf, bis ich sah, dass Tegan in Sicherheit war. Mein Herz pochte wie Donner, und ich merkte, wie sehr ich das Kämpfen vermisst hatte. Für Angst war kein Platz im Herzen einer Jägerin. Und wenn ich Angst hatte, dann meist um jene, die mir lieb waren.
Fünfzehn Freaks kamen die Anhöhe heraufgestürmt. Ich blickte mich kurz um und sah Hobbs und Frank neben mir stehen. Pirscher und Bleich preschten vor, warfen sich dem Feind entgegen, und ich folgte ihnen mit einem Entzücken, das mir sagte, dass etwas mit mir nicht ganz stimmen konnte.
Das Monster hatte weniger offene Stellen auf der Haut als die in den Ruinen, aber es stank trotzdem nach Verwesung, und Speichel tropfte von seinen gelben Fangzähnen, als es mich angriff.
Ich wich dem Biss aus und revanchierte mich mit einem Klingenstoß, der ihm den Unterarm aufschlitzte. Dunkles Blut quoll aus der Wunde, aber ich konnte erst aufhören, wenn das Biest tot am Boden lag. Der Kampf dauerte länger als sonst, denn der Freak duckte sich immer wieder, wehrte sogar einige meiner Schläge ab und schlug im Gegenzug nach meinem Gesicht. Ich brauchte all meine Reflexe, um seinen Klauen auszuweichen. Um ein Haar hätte er mich erwischt, was mich nur noch mehr in Rage versetzte, denn mir gefiel mein Gesicht, so wie es war– ohne Narben. Mit wilder Entschlossenheit stürzte ich mich auf meinen Gegner, und meine Klingen wirbelten, dass
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