Die Zuflucht der Drachen - Roman
denen ihre Bewacher immer unterwegs waren, Elise stehen sehen. Sie winkte. Das mochte noch kein handfester Beweis sein, aber Seth war überzeugt. Er öffnete das Fenster. Grässlich kalte Luft strömte an ihm vorbei.
Warren kam hereingekrochen. Soweit Seth wusste, war dies das erste Mal, das einer seiner Leibwächter das Haus betrat. Wenn Tanu sie bewachte, sprachen er und Seth oft miteinander, aber immer draußen. Es muss schon etwas Ungewöhnliches passiert sein, dass Warren auf diese Weise bei ihm hereinschneite.
»Du verwandelst dich auch wirklich nicht in einen Goblin, der versucht, mich umzubringen?«, flüsterte Seth.
»Ich bin es wirklich«, sagte Warren leise, »obwohl du mich wahrscheinlich nicht hättest reinlassen sollen, nicht einmal nachdem du Elise gesehen hast. Die Gesellschaft des Abendsterns würde vor nichts haltmachen, um an dich heranzukommen.«
»Soll ich Kendra holen?«, fragte Seth.
Warren hob beide Hände. »Nein, ich bin eigens durchs Fenster gekommen, damit wir unter vier Augen sprechen können. Elise und ich machen uns Sorgen um deine Schwester. Ist dir in letzter Zeit irgendetwas Merkwürdiges an ihrem Benehmen aufgefallen?«
Seth bekam Gewissensbisse. »Sie war absolut außer sich heute. Eigentlich ist es meine Schuld. Sie hat mich ertappt, wie ich in ihrem Zimmer herumgeschnüffelt habe, und ist durchgedreht.«
Warren musterte Seth nachdenklich. »Würdest du sagen, ihre Reaktion war extrem?«
Seth überlegte. »Ich hätte nicht reingehen sollen. Sie hatte das Recht, wütend zu sein. Aber trotzdem, ja, es war wirklich extrem.«
Warren nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Kendra hat sich heute Nacht aus dem Haus geschlichen, kurz nach ein Uhr. Sie ist über den hinteren Zaun geklettert. Elise hatte Dienst. Sie hat Kendra gesehen und ist ihr in einigem Abstand gefolgt.«
»Kendra weiß, dass sie ohne euch nirgendwo hingehen soll«, unterbrach Seth. »Warum sollte sie versuchen, euch auszubüxen? So was macht sie doch sonst nie.«
»Du hast recht, es passt nicht zu ihr, aber es kommt noch besser. Elise ist deiner Schwester zu einem Briefkasten gefolgt, wo Kendra einen Brief eingeworfen hat. Du musst verstehen, Seth, unser Auftrag besteht darin, euch vor möglichen Gefahren zu beschützen, und das schließt auch den Schutz vor euch selbst ein. Nachdem sich Elise davon überzeugt hatte, dass Kendra wieder sicher im Haus war, ist sie zurück zu dem Briefkasten. Sie konnte den Umschlag, den Kendra eingeworfen hatte, wieder herausfischen und hat nachgesehen, was darin stand.«
»Ihr lest unsere Post?«, fragte Seth verdattert.
»Routinekontrolle«, beschwichtigte Warren. »Wir müssen sichergehen, dass ihr nicht versehentlich verräterische Informationen durchsickern lasst. Vor allem, wenn ein Brief unter derart verdächtigen Umständen abgeschickt wird. Wir überprüfen nicht die Post, die ihr über uns an eure Großeltern schickt, nur die Kommunikation mit Außenstehenden.«
»Ich nehme an, Kendra hat Mist gebaut?«
Warren hielt einen Umschlag hoch. »Bei der Nachricht, die sie geschickt hat, handelt es sich nicht um ein Versehen. Überzeug dich selbst.«
Seth nahm den Brief, und Warren knipste seine Taschenlampe an. Der Umschlag war an T. Barker adressiert, an ein Postfach in Monmouth, Illinois. »Hast du irgendeine Ahnung, wer das ist?«, fragte Seth.
»Keinen Schimmer. Klingelt bei dir etwas?«
Seth dachte nach. »Mir fallen keine Barkers ein, die ich kenne. Soweit ich mich erinnern kann, kennen wir auch niemanden in Illinois.«
»Lies den Brief.«
Der Umschlag war fachmännisch geöffnet worden. Nichts zerrissen, keine Hinweise auf einen unbefugten Zugriff. Er konnte leicht wieder verschlossen und abgeschickt werden. Seth nahm das gefaltete Papier heraus und las:
Liebe Torina,
sie behalten mich hier genau im Auge. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch einmal die Möglichkeit finden werde, weitere Informationen zu übermitteln. Ich weiß nicht, ob sie die Telefone angezapft haben, daher werde ich mich wahrscheinlich auf die Post beschränken müssen. Im Übrigen läuft alles bisher ganz gut. Niemand hat Verdacht geschöpft, auch wenn Seth eine Nervensäge ist.
Ich habe wichtige Informationen: Sie haben eines der Artefakte gefunden! Der Chronometer ist in ihrem Besitz und befindet sich in Fabelheim. Außerdem haben sie ein Tagebuch von Patton Burgess. Er behauptet, die Aufbewahrungsorte anderer Artefakte zu kennen. Wo, wird in dem Tagebuch nicht
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