Die Zuflucht der Drachen - Roman
nichts Persönliches. Er war nackter Verrat. Warum, Kendra? Wir benötigen unverzüglich eine Erklärung.«
Kendras Blick zuckte durch den Raum, während sie verzweifelt nach einer Antwort suchte. »Ich habe ihn nicht an einen Feind geschickt.«
»Das habe ich auch nie behauptet«, erwiderte Warren. »Doch wenn du Informationen wie diese an irgendjemanden außerhalb unseres Vertrauenskreises schickst, ist das als schwerwiegender Verrat einzustufen. Ich habe noch nie etwas von einer Torina Barker gehört. Wer ist sie?«
»Bitte, Warren, du musst mir vertrauen, du weißt, ich würde niemals …«
»›Wenn möglich werde ich, bevor ich hier fertig bin, Pattons Tagebuch in der Nähe des alten Baumhauses am Bach an der Hawthorne Avenue verstecken‹«, las Warren vor. Er ließ den Brief sinken. »Stimmt, Kendra, ich hätte nie erwartet, dass du zu einem derartigen Verrat fähig wärst. Erklär mir das.«
Sie öffnete und schloss wortlos den Mund. Plötzlich standen Furcht und Angst in ihren Augen. »Bitte, Warren, stell mir keine weiteren Fragen, ich musste es tun, sie haben mich dazu gezwungen. Ich kann es nicht erklären.«
Warren musterte sie kühl. »Das wirkt aufgesetzt. Seth?«
»Sie lügt«, stimmte Seth ihm zu.
Plötzlich schien Kendra wütend. »Ich kann nicht glauben, wie ihr mit mir umgeht!«
»Was ich nicht glauben kann, ist, wie ungeschickt du ständig deine Taktik wechselst«, gab Warren zurück. »Mit wem spreche ich hier? Ich bin nicht davon überzeugt, dass der Geist unserer Kendra aus diesen Worten spricht.«
»Aber natürlich, Warren, natürlich bin ich es! Erinnerst du dich, wie ich geholfen habe, dich zu heilen, als du ein Albino warst? Erinnerst du dich, wie wir zusammen mit Vanessa mit diesem dreiköpfigen Panther fertigwerden mussten? Stell mir irgendeine Frage.«
»Warum hast du die Kombination deines Schließfaches vergessen?«, wollte Warren wissen.
»Was?«
»Ich habe dich heute in der Schule beobachtet. Du musstest dir erst Hilfe aus dem Sekretariat holen, um dein Schließfach zu öffnen. Warum?«
»Warum vergisst man schon etwas?«, protestierte Kendra mit unsicherer Stimme. »Die Zahlen sind mir einfach entfallen.«
»Warum bist du heute früher aus dem Kinderhort nach Hause gekommen?«, erkundigte sich Seth.
»Rex hatte sich krankgemeldet. Die Dame, die ihn vertreten hat, meinte, sie hätte nichts dagegen, wenn ich früher gehen würde.«
Seth machte einen Schritt auf sie zu. »Das sieht Kendra überhaupt nicht ähnlich. Du hast recht, Warren. Das ist sie nicht. Ich glaube, sie war es schon den ganzen Tag lang nicht.«
»Ich bin deine Schwester«, beharrte Kendra mit flehenden Augen und vergrub die Hände in den Taschen.
Seth wedelte mit dem Zeigefinger. »Nein. Du bist definitiv nicht meine Schwester. Weißt du, was du bist? Du bist ein Schwein! Ich habe noch nie jemanden so viele Schoko-Krispies verdrücken sehen!«
Warren packte Kendra am Arm. »Du musst mit mir kommen, wer immer du bist, und wir werden dafür sorgen, dass du Kendras Geist nicht länger kontrollierst.« Seine Stimme klang hart.
Kendra schlug sich mit der freien Hand an die Lippen und schluckte. Warren stieß sie aufs Bett zurück und versuchte, ihr den Finger in den Mund zu schieben. Kendra lachte. »Zu spät, Warren«, hustete sie, seinen Finger zwischen den Lippen. »Wirkt schnell und hinterlässt fast keine Spuren. Alle werden denken, es wäre ein Hirnschlag gewesen.«
»Das war Gift?«, keuchte Seth erschüttert.
Kendra zog einen Schmollmund, sah ihn an und nickte. »Keine große Schwester mehr. Ich hoffe, ihr zwei« – sie begann zu würgen, dann fing sie sich wieder – »seid stolz auf euch.«
Ihr Körper verfiel in unkontrollierte Zuckungen.
»Tu doch was!«, rief Seth.
Warren beugte sich vor und packte Kendras Kinn. »Wer immer du bist, du wirst dafür bezahlen.«
»Wohl kaum«, erwiderte Kendra erstickt.
Die Zuckungen hörten auf. Warren suchte mit den Fingern nach einem Puls an ihrem Hals, drückte ein Ohr auf ihre Brust. »Sie atmet nicht mehr.« Er begann mit einer Herz-Lungen-Wiederbelebung.
Am ganzen Körper bebend, sah Seth entsetzt zu, wie Warren versuchte, seine Schwester zurück ins Leben zu holen. Er wünschte, sie wäre wach und wütend und würde ihn schlagen, ob ihr Geist nun unter fremder Kontrolle stand oder nicht – alles, nur das nicht!
Nach mehreren Minuten ließ Warren schließlich von dem toten Körper ab. »Seth, ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Du
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