Die Zuflucht
dieses Frühjahr wäre unnatürlich. Wenn die Leute hier so abergläubisch waren, war der Schritt nicht weit, dass sie mich dafür verantwortlich machten, ob es nun stimmte oder nicht. Aber so waren die Menschen nun mal, Oben wie Unten. Immer brauchten sie jemanden, dem sie die Schuld geben konnten. Schweigend gingen wir den Rest des Weges, beide in unsere eigenen Gedanken versunken.
Als wir wieder zu Hause waren, schlug Oma Oaks vor, mich für die Feier etwas herauszuputzen, und ich tat ihr den Gefallen. Sie machte mein Haar nass und knotete es mit Stoffbändern zusammen. Das Ganze musste mehrere Stunden lang so bleiben, die ich damit verbrachte, mich mit Flickarbeiten abzumühen. Verglichen mit dieser eintönigen Qual erschien mir das Fest immer verlockender.
» Freust du dich auf Justines Geburtstagsfeier?«, fragte sie, während wir dasaÃen und nähten.
» Eigentlich nicht.« Lügen war nicht meine Art.
» Warum?«
» Ich passe einfach nicht zu ihnen. Sie lachen über mich, wenn ich in der Schule vorlese, weil ich schlechter bin als Bälger, die nur halb so alt sind wie ich.«
Ich tat es für Tegan. Für sie wollte ich versuchen, die Herzen der Ãbrigen auf andere Weise für mich zu gewinnen als dadurch, Monster zu töten. Wenn das kein Freundschaftsbeweis war, wusste ich auch nicht weiter.
Oma Oaks blickte mich fest an. » Justines Vater ist ein wichtiger Mann. Er regiert diese Stadt. Es wäre nicht schlecht, wenn Justine sich mit dir anfreundet«, sagte sie und legte das Kleid mit dem ausgefransten Saum weg. » Und jetzt ist es an der Zeit, deine Frisur fertig zu machen.«
» Fantastisch«, murmelte ich.
Sie steckte einen Teil der Locken zu einem Turm auf und lieà den Rest lose über meine Schultern fallen. Ich kam mir vollkommen albern vor, und falls es Ãrger gab, konnte ich mit dieser Frisur bestimmt nicht kämpfen. Ich lieà Hose und Messer weg und zog nur das Kleid an, auch wenn ich mir nackt vorkam, als ich den Stoff auf meinen bloÃen Beinen spürte.
Am Nachmittag kam Tegan zurück und klatschte begeistert in die Hände. » Du siehst toll aus!«, rief sie.
Wir verabschiedeten uns kurz, dann klemmte ich mir das kleine Geschenkpäckchen unter den Arm und folgte Tegan durch die Stadt. Ich hatte keine Ahnung, wo wir hinmussten, aber das machte nichts. Tegan schnatterte in einer Tour davon, wie sehr ich die Mädchen mögen würde, wenn ich sie erst mal ein bisschen näher kennenlernte. Ich war mir da nicht so sicher, wollte es aber zumindest versuchen für den Fall, dass sich auf diese Weise mögliche Probleme wegen meiner Teilnahme an den Patrouillen von vornherein verhindern lieÃen.
» Justine«, sagte Tegan. » Das ist Zwei aus unserer Schule.«
Sie war ein hübsches Mädchen mit einem runden Gesicht und sonnengelben Locken. Wenn sie lächelte, bildeten sich Grübchen auf ihren Wangen. Sie sah lieblich aus, aber der Ausdruck auf ihrem Gesicht jagte mir einen kalten Schauder über den Rücken, vor allem, weil er mich an Seide erinnerte. Sie hatte die Leute in der Enklave auch immer so angesehen, bevor sie sie zu vierzig Peitschenhieben verurteilte. Doch dann verschwand der Ausdruck wieder, und an seine Stelle trat pures Entzücken. Vielleicht war ich einfach nur nervös.
Ich gab ihr das Geschenk und murmelte meine Glückwünsche.
Justine nahm es und stellte es zu den anderen.
Die Bigwaters waren wichtige Persönlichkeiten, wie Oma Oaks mir zu verstehen gegeben hatte. Wenn ich ihre Worte richtig interpretierte, war ihr Vater so etwas, wie DreifuÃ, der Oberste des Ãltestenrates in College, gewesen war. Wenn ich also nicht in Ungnade fallen wollte, durfte ich es mir mit Justine nicht verscherzen.
Der Platz hinter ihrem Haus war eigens für das Fest hergerichtet worden. Tische und Stühle standen bereit, alles war mit bunten Girlanden dekoriert. Ein Mann, den ich vom Sehen kannte, spielte eine fröhliche Melodie auf seiner Flöte, Mädchen standen in Zweier- und Dreiergruppen zusammen. Ich kam mir ziemlich fehl am Platz vor und hielt mich an Tegan. Wie gut ich mit meinen Messern war, zählte hier nicht. Hier ging es ums Reden, und darin war ich schon immer schlecht gewesen.
Sie führte mich zu einer Gruppe von Klassenkameradinnen. Ich kannte keine einzige davon. Es mochte kleinlich von mir sein, aber Mädchen, die lachten, wenn ich
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