Die Zuflucht
das mich besonders gerne auf den Arm nahm, wenn ich in der Klasse vorlesen musste. Immer wieder stachelte sie Jungs an, mich zu ärgern. Zu ihr zu gehen war das Letzte, was ich wollte, aber Tegan schien wild entschlossen. Sie hatte mir so weit vertraut, dass sie mir hinaus in die Wildnis gefolgt war, also war es nur recht und billig, wenn ich mit ihr zu dieser Feier ging.
» Was ist ein Geburtstag?«, fragte ich.
Tegan blinzelte mich an. » Der Tag, an dem du geboren wurdest. Es ist ein Festtag, und die Leute geben dir Geschenke. Als meine Mutter noch lebte, haben wir ihn auch jedes Mal gefeiert.«
Eine seltsame Vorstellung. » Warum sollten Leute einem Geschenke für etwas geben, das man gar nicht selbst vollbracht hat?«, bohrte ich nach.
An meinem Namensgebungstag hatte ich Geschenke bekommen, weil ich es geschafft hatte, fünfzehn Jahre lang zu überleben. Ich hatte sie verdient. Dieses Geburtstagsritual ergab für mich keinen Sinn.
» Weil sie dich mögen«, erwiderte Tegan, nachdem sie meine Frage anfangs offenbar für einen Witz gehalten hatte.
» Jedes Jahr?«
» Natürlich.« Sie musste ein Lachen unterdrücken.
Ich versuchte, mich an die Vorstellung zu gewöhnen. » Weil man so lange durchgehalten hat?«
Das musste der Grund sein.
» So kann man es auch sehenâ¦Â«
» Muss ich etwas mitbringen?« Ich konnte auch teilnehmen, ohne den Sinn der Feier zu verstehen, solange ich Tegan damit nur eine Freude machte. Als Geste der Freundschaft.
Sie nickte. » Das gebietet die Höflichkeit.«
» In Ordnung. Wann?«
» Heute Nachmittag. Ich werde dich abholen. Du wirst sehen, es gefällt dir. Ich hätte nicht geglaubt, dass das Leben je wieder so schön sein könnte.« Tegan war offenbar überglücklich.
Ich dachte an meine Keule. Tegan würde sie nie wieder benutzen. Am liebsten hätte ich sie zurückverlangt, aber das war gegen jede Anstandsregel. Vielleicht konnte ich mir ja eine neue machen. Holz gab es hier jedenfalls genug.
Kurz darauf ging Tegan, und ich machte mich auf die Suche nach Oma Oaks, um sie zu fragen, was ein geeignetes Geschenk für ein Mädchen wie Justine war. Ihr fiel tatsächlich etwas ein, und wir gingen gemeinsam los. Sie wollte mir helfen, etwas Passendes zu finden. Am Ende entschied ich mich für ein paar Haarbänder. Ich hätte nichts damit anfangen können, aber meine Pflegemutter schien überzeugt, Justine würden sie gefallen.
» Es tut mir gut zu sehen, wie du endlich Freundinnen findest und dich in die Gemeinschaft einfügst«, sagte sie.
Das war Tegans Verdienst, nicht meines, aber ich lieà das Missverständnis so stehen. » Das ist alles ziemlich neu für mich.«
» Du machst deine Sache gut. Und ich bin stolz, dass du an den Sommerpatrouillen teilnimmst.«
Ich bemerkte die Blicke der anderen und das Geflüster, das unseren Weg durch die StraÃen begleitete.
» Auch wenn nicht alle dieser Meinung sind«, sprach Oma Oaks weiter. » Sei einfach vorsichtig.«
Ich schaute noch einmal in Richtung der allzu aufmerksamen Damen. Oma Oaks hatte recht. Die Blicke waren eindeutig missbilligend. Das war nichts Neues. Die Frauen hier hatten mich von Anfang an kritisch beäugt, aber ihr Missfallen schien inzwischen noch gröÃer geworden zu sein. Die ganze HauptstraÃe entlang behielten sie uns im Auge, und ich fürchtete, durch meine Taten am Ende noch meine Pflegeeltern in Gefahr zu bringen. Wenn ich mich besser einfügte und die Töchter der Stadt dazu brachte, mich zu mögen, würden ihre Mütter vielleicht weniger Anstoà daran nehmen, dass ich einer Aufgabe nachging, die normalerweise Männern vorbehalten war.
Es fiel mir verdammt schwer, aber schlieÃlich fragte ich: » Soll ich wieder austreten?«
» Nein«, erwiderte Oma Oaks scharf. » Ich glaube nicht an diesen abergläubischen Unsinn, selbst wenn er in den Gesetzbüchern steht.«
Ich verstand überhaupt nichts. » Wie meinst du das?«
» Dass die Stolzseuche vom Himmel geschickt wurde. Dass Frauen nur Frauenarbeit tun dürfen, weil sonst neues Unglück über uns kommen wird.«
» Tatsächlich?« Ich war nicht sicher, was mir widersinniger erschien: dass so dummes Zeug in den Gesetzbüchern stand oder dass die Leute in Erlösung daran glaubten.
Draufgänger hatte gesagt, die groÃe Anzahl an Freaks
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