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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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müssen.
    Â» Meine Pflegeeltern haben einen Sohn, wusstest du das?«, flüsterte ich in die Dunkelheit und drehte Tegan das Gesicht zu. » Er hat sie noch kein einziges Mal besucht, seit ich hier bin.«
    Â» Warum nicht?«
    Ich zuckte die Achseln. » Keine Ahnung. Sie haben sich gestritten. Worüber, weiß ich nicht.«
    Â» Das ist schlimm«, murmelte Tegan. » Ich würde alles dafür geben, wenn ich meine Eltern wiedersehen könnte. Ich vermisse sie jeden Tag.«
    Â» Ich weiß«, flüsterte ich und umarmte sie.
    Tegan weinte nicht. Der Schmerz war schon so wohlvertraut, dass er stumpf geworden war wie ein Messer, das draußen im Regen gelegen hatte. Sie erwiderte meine Umarmung, und ich genoss das Gefühl, ihre Freundin zu sein, obwohl wir so verschieden aufgewachsen waren. Bestimmt teilte sie mit den anderen Mädchen nicht so viele Geheimnisse.
    Â» Vermisst du auch jemanden? Aus der Enklave, meine ich?«, fragte sie schließlich.
    Â» Meine Mitbälger Fingerhut und Stein.«
    Tegan stützte den Kopf auf den Ellbogen. » Was genau ist ein Mitbalg?«
    Â» Jemand, der zusammen mit dir auf die Balgschule geht, im selben Saal schläft wie du. Bälger rotten sich gerne zu kleinen Gruppen zusammen, und das Band zwischen ihnen bleibt bestehen, selbst wenn manche von ihnen schon erwachsen sind und sich einen Namen verdient haben.«
    Â» Deine Mitbälger waren älter als du?«
    Â» Ja. Sie waren vor mir mit der Schule fertig. Es war furchtbar. Ich war so einsam.« Mir fiel auf, dass ich ihr nie die ganze Geschichte erzählt hatte. Auf unserer Flucht waren wir zu sehr mit Überleben beschäftigt gewesen.
    Â» Und dann musstest du sie für immer verlassen.«
    Im Schnelldurchgang erzählte ich ihr, wie mein Leben in der Enklave ausgesehen hatte. Von den strengen Gesetzen gegen Horten und von dem blinden Balg. Wie die Ältesten Bleich behandelt hatten, von Banners angeblichem Selbstmord. Davon, wie der Oberste immer wieder Leute verbannte, um uns alle einzuschüchtern, was schließlich dazu führte, dass Stein eines Tages eines Verbrechens angeklagt wurde, das er gar nicht begangen hatte. Als ich fertig war, fühlte ich mich, als hätte ich einen Stein im Magen.
    Tegan hatte mir eine Hand auf den Kopf gelegt. Sie streichelte mich nicht, sondern berührte mich nur, als wollte sie mir Sicherheit geben. Ich war überrascht, wie sehr mich meine Vergangenheit immer noch schmerzte, aber nachdem ich zu Ende erzählt hatte, ging es mir auch besser. Es tat gut, seine Erinnerungen mit jemandem zu teilen.
    Â» Deshalb musstest du also dort weg«, flüsterte sie. » Das hört sich alles ziemlich schrecklich an, Zwei.«
    Â» Das war es«, erwiderte ich. » Ich habe es nur nicht gemerkt, als ich noch dort lebte.«
    Tegan seufzte. » Weil du nichts anderes kanntest.«
    Ich konnte nichts erwidern, also nickte ich nur.
    Â» Als du in den Ruinen zu mir gesagt hast, ich soll Pirscher eine zweite Chance geben, habe ich dich dafür gehasst. Aber jetzt, glaube ich… kann ich dich verstehen. Vielleicht konnte er nicht sehen, wie falsch es war, was er getan hat, vielleicht begreift er es erst jetzt. Ich… werde versuchen, ihn so zu sehen, wie er jetzt ist.«
    Â» Es ist mir egal, ob du Pirscher verzeihst. Das ist eine Sache zwischen euch.«
    Â» Trotzdem, danke. Danke, dass du meine Freundin bist«, sagte sie.
    Es war schön zu wissen, dass auch ich ihr Trost gespendet hatte. Ich hielt ihre Worte fest wie einen Schatz und nahm sie mit in den Schlaf.

KATASTROPHE
    Eine Woche nach der Geburtstagsfeier fand ich mich zusammen mit den anderen Patrouillenmitgliedern vor Sonnenaufgang bei der Baracke ein. Die Tage wurden allmählich wärmer und länger, und Draufgänger hoffte, die Pflanzer noch im Schutz der Dunkelheit zu den Feldern zu bringen. Es hatte ein paar kleinere Angriffe auf die Mauern gegeben, aber nichts im Vergleich zu der Anzahl, die uns beim letzten Mal aufgelauert hatte. Die Freaks schienen uns eher auf die Probe stellen zu wollen, als dass sie ernsthaft versuchten, in die Stadt einzudringen.
    Vielleicht hofften sie auch, uns würde irgendwann die Munition ausgehen. Aber das war kaum anzunehmen, denn in Erlösung stellten sie schon seit Jahren ihr eigenes Schießpulver her, und der Schmied, bei dem Pirscher untergekommen war, wusste, wie man Patronen und Kugeln machte. Es war

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