Die Zuflucht
dass es mir nichts ausmachte.
» Geh noch nicht ins Bett«, flüsterte er.
» Hatte ich auch nicht vor.«
Bevor wir nach Erlösung kamen, hatten wir mehr Nächte zusammen verbracht als getrennt voneinander. Anfangs konnte ich alleine kaum einschlafen, so sehr hatte ich mich an Bleich, Tegan und Pirscher gewöhnt. Diese Stille und Abgeschiedenheit waren mir fremd. Ich fühlte mich einsam. Und selbst als ich mich auf die neue Situation eingestellt hatte, wünschte ich mir oft, ich bräuchte nur den Arm auszustrecken, um Bleich zu berühren, könnte ihn beobachten, während er schlief.
» Was dann?«, fragte er.
In seinem Gesicht sah ich, wie sehr er sich beherrschen musste. Auch ich hätte ihn am liebsten verschlungen, aber das wäre nicht klug gewesen. Wenn wir wieder anfingen, uns zu küssen, würde es weiter gehen, als gut für uns war. Mein Verstand hatte schon die Sachen gepackt, bereit, sich davonzumachen und erst wiederzukommen, wenn wir am nächsten Morgen aufwachten. Glücklicherweise wusste ich was Besseres.
» Etwas, das ich schon immer mal tun wollte.«
Seine nachtschwarzen Augen funkelten. » Was?«
Ich setzte mich aufs Sofa. » Komm her und leg deinen Kopf auf meinen SchoÃ.«
Bleich brauchte ein paar Versuche, bis er eine bequeme Position gefunden hatte, aber schlieÃlich lag er da, das Gesicht zu mir gedreht.
Ich seufzte verzückt und vergrub die Finger in seinen seidenweichen Haaren. Ich hatte sie schon öfter berührt, aber noch nie so genussvoll und in so entspannter Atmosphäre. Mit unendlich langsamen, zärtlichen Bewegungen strich ich über seine Stirn, die Schläfen und Wangen und wieder zurück. Ich tastete über seine Augenbrauen und den Nasenrücken. Früher hätte ich so innigen Körperkontakt niemals zugelassen. Ich hatte geglaubt, Zärtlichkeit wäre allein den Züchtern vorbehalten, aber ich spürte, Bleich brauchte sie genauso wie ich.
» Du wolltest mich schon immer streicheln?«, fragte er wie benommen.
» Fühlt sich das gut an?«
» Es ist⦠fantastisch.« Als er einschlief, lächelte er immer noch.
Ich hielt ihn fest und dachte, dass es nichts auf der Welt gab, was ich nicht für diesen Jungen tun würde.
UNTER DRUCK
Als ich aufwachte, war der Himmel noch dunkel. Ich spürte ein Ziehen im Nacken, weil ich Bleich die ganze Nacht festgehalten hatte. Er schlief immer noch, tief in Träume versunken. In diesen stillen, abgeschiedenen Momenten gehörte er ganz mir. Keine Ablehnung, keine Zurückhaltung. Ich strich ihm das Haar aus dem Gesicht, fuhr mit den Fingern über die wunderbar geschwungenen Augenbrauen. Seine Lider flatterten, und am liebsten hätte ich sie geküsst, aber ich wollte ihn nicht aufwecken, denn ich spürte, es war schon lange her, dass er zum letzten Mal so gut geschlafen hatte.
Am anderen Ende des Raums sah ich ein Paar nagelneue Stiefel stehen. Edmund hatte sie also tatsächlich noch in der Nacht fertig gemacht, war nach Hause gekommen, hatte uns aneinandergekuschelt auf dem Sofa liegen sehen und nichts gesagt. Ich stellte mir vor, wie er uns wohlwollend betrachtete, sein Geschenk für mich abstellte und lautlos nach oben verschwand. Ich spürte Tränen in den Augen. Mucksmäuschenstill schob ich ein Kissen unter Bleichs Kopf, glitt vom Sofa und ging hinüber zu meinen neuen Schuhen.
Ich hob sie auf und drückte sie an meine Brust, dann ging ich in die Küche. Es fiel mir schwer, sie wieder abzustellen, aber ich musste Frühstück machen. Es gab immer frisches Brot und Butter, dazu einen roten klebrigen Brei. » Erdbeermarmelade«, sagte Oma Oaks dazu. Ich machte den Ofen nicht an, denn das hätte meine Pflegeeltern geweckt, und Edmund konnte noch nicht allzu viel Schlaf bekommen haben. Die Brote waren reichhaltiger als der Proviant, den wir auf unserer Flucht durch die Ruinen gehabt hatten. Gut. Ich schmierte Butter und Marmelade darauf und dachte zurück an die Tage, als wir nur verkohltes Kaninchenfleisch zu essen gehabt hatten.
Als ich fertig war, trug ich zwei Teller hinüber ins Wohnzimmer und legte Bleich eine Hand auf die Schulter, um ihn zu wecken. Zu meiner Freude griff er nicht nach seinen Waffen, sondern blinzelte mich nur mit einem verschlafenen Lächeln an. Als er mich erkannte, begannen seine Augen zu leuchten.
» Daran könnte ich mich gewöhnen«,
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