Die Zuflucht
antust«, murmelte sie.
Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. » Dann würdest du nicht für deine Kinder kämpfen, falls nötig?«
Sie schnaubte. » Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Deck lieber den Tisch.«
Das Abendessen verlief überraschend harmonisch. Meine Pflegeeltern fragten nicht weiter nach Bleichs Narben, und er entspannte sich merklich. Mir fiel nur auf, wie gerade er saÃ, peinlich darauf bedacht, dass sein Rücken die Lehne nicht berührte. Auf der Schaukel und dem Sofa hatte er genauso gesessen, nur war mir der Grund dafür nicht aufgefallen.
Ich Idiotin. Ich hätte ihm früher helfen können.
Nach dem Essen spielten wir Karten. Edmund hatte mir die Regeln beigebracht. Sie waren viel komplizierter als die, die wir Unten hatten. Man musste die Zahlenwerte der Karten kennen und sich merken, welche bereits abgelegt waren. Wir bildeten zwei Teams. Oma Oaks und Bleich spielten gegen Edmund und mich. Ich war froh, Bleich lächeln zu sehen, als sie gewonnen hatten.
Edmund stand vom Tisch auf und zwinkerte mir zuâ er hatte sie absichtlich gewinnen lassen. Ich mochte ihn von Tag zu Tag lieber.
» Wenn du zurück bist, spielen wir eine Partie Schach«, versprach er.
Ich lächelte. » Das wäre schön.«
Es war spät geworden. Oma Oaks räumte die Küche auf, und ich half ihr dabei. In vertrauter Stille erledigten wir den Abwasch. Erst als ich den letzten Teller abtrocknete, brach sie das Schweigen.
» Er bedeutet dir sehr viel«, sagte sie mit in die Hüfte gestemmten Händen.
» Ja, Maâam.« Mrs. James wäre beeindruckt gewesen, wie sicher ich inzwischen die richtige Anrede verwendete.
» Ist er auch der Grund, warum du so versessen aufs Kämpfen bist?«
» Nein«, erwiderte ich zögernd. » Ich glaube, es ist eher umgekehrt.«
Sie kicherte. » Ãberrascht mich nicht, das zu hören. Edmund und ich werden jetzt zu Bett gehen. Knutscht nicht zu lange, damit ihr noch genügend Schlaf bekommt.«
Es war das zweite Mal, dass ich dieses Wort hörte, und ich vertraute Oma Oaks, dass sie sich nicht über meine Unwissenheit lustig machen würde. » Was bedeutet knutschen?«
Ihre Augen funkelten, als würden süÃe Erinnerungen in ihr aufsteigen. » Es bedeutet, dass deine Säfte flieÃen und du erblühst wie eine Blume. GenieÃe die paar Stunden mit deinem jungen Mann.«
Aha . Immerhin konnte ich aus ihrer Erklärung ableiten, dass es etwas mit Küssen zu tun haben musste. Ich fand das Wort gar nicht schlecht. Es erinnerte mich an kuscheln, aber da war noch mehr⦠Wenn Bleich mich berührte, fühlte ich mich, als würden lauter kleine Lichter in mir tanzen. Beinahe wäre ich rot geworden, als ich mir vorstellte, dass Oma Oaks dieses Gefühl ebenfalls kannte. Immerhin hatte sie Edmunds Kinder geboren. Es war ein höchst seltsamer Gedanke, mir die beiden miteinander vorzustellen, so jung und begierig.
» Mehr sage ich nicht dazu«, fuhr sie fort. » Du bist ein kluges Mädchen und hast es weit gebracht. Du wirst wissen, was gut für deine Zukunft ist.«
Wahrscheinlich meinte sie damit, ich war zu schlau, um mich unautorisiert mit Bleich fortzupflanzen. Bleich zu küssen war toll, ohne Frage, aber alles andere musste warten, bis meine Reflexe erlahmten. Ich konnte es nicht riskieren, dass ein Balg mir die besten Jägerinnenjahre nahm. Wenn ich alt und langsam wurde, so mit vierundzwanzig etwa, würde ich mich vielleicht zur Ruhe setzen und Nachkommen mit Bleich haben. Aber das lag noch so weit in der Zukunft, dass ich es mir kaum vorstellen konnte. AuÃerdem war ich angesichts der momentanen Lage alles andere als sicher, ob wir beide so lange leben würden.
» Danke für alles«, sagte ich schlieÃlich.
Oma Oaks sprang auf mich zu und schloss mich so fest in die Arme, wie niemand zuvor es je getan hatte. Sie roch süà wie frisches Brot, und ich spürte Tränen in den Augen. Dann machte sie sich unvermittelt los und erklärte, sie werde wahrscheinlich noch schlafen, wenn wir am Morgen aufbrachen, aber sie würde mich jeden Tag in ihre Gebete einschlieÃen. In Erlösung war das beinahe die gröÃte Ehre, die man jemandem zukommen lassen konnte, denn es bedeutete, dass man mit dem Wesen sprach, das im Himmel lebte und über die Welt herrschte. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass dieser
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