Die Zukunftsmacher
Gelenk gerissen. Er blieb so hängen, bis der größte Schmerz im Arm nachgelassen hatte. Während er hing, wurde die Dunkelheit immer undurchdringlicher. Wieder donnerte es. Dann begann er die Leiter hinaufzusteigen.
Es begann zu regnen. Tyne hörte, wie der Regen durch den Dschungel peitschte. Im nächsten Moment traf er ihn mit einer Wucht, als wollte er ihn gegen die Mauer pressen. Er überlegte sich sarkastisch, wann er wohl das letzte Mal völlig trocken gewesen war.
Auf dem Dach angekommen, legte er sich platt hin und versuchte, durch die nasse Dunkelheit etwas zu erspähen. Regenwolken hatten den Mond nun vollständig verdunkelt. Rechts konnte er Ventilatoren erkennen. Der Regen prasselte auf dem Metall. Halblaut fluchte er vor sich hin. Er verwünschte das ganze Universum, Sonne, Mond und ganz besonders die Planeten, da sie Phänomene wie Wasser hervorbrachten.
Auf Händen und Knien rutschte er in Richtung Seeseite. Ein letztes Stück Dachfirst hinauf und dann wieder eine gefährlich glitschige Schräge hinunter, und er war auf dem obersten Teil der Fassade angelangt.
Unter ihm waren die Bögen und Vertiefungen, in denen er Murray zu finden hoffte. Darunter wieder lag die aufgepeitschte See.
Er konnte das Wasser nur undeutlich durch die dichten Regenschleier erkennen. Direkt unter ihm war das Wasser relativ ruhig. Das lag an dem Planktonnetz, einer großen Plane, die verhinderte, daß etwas, das größer als eine Krabbe war, in die Umarbeitungsprozesse der Fabrik gelangte. Auf der anderen Seite des Netzes gischtete es.
Durch den Krach um ihn herum hatte Tyne es nicht länger nötig, sich ruhig zu verhalten. Er stand auf und rief laut: »Murray!«
Sein Ruf wurde im Nu von dem Getöse um ihn herum verschluckt. Er gab es auf.
Wasser strömte ihm übers Gesicht. Tyne ließ sich wieder auf Hände und Knie nieder und kroch auf der Brüstung entlang. Dabei hielt er nach einer weiteren Leiter Ausschau.
Tatsächlich fand er eine. Er grinste befriedigt und tastete mit dem Fuß nach der ersten Sprosse. Da fiel ein Schuß.
Tyne erstarrte. Er preßte sich gegen den nassen Beton. Sein Körper spannte sich. Es war unmöglich zu erkennen, von wo der Schuß gekommen war. Von oben? Von unten? Ungefähr zehn Sekunden lang blieb er völlig unbeweglich. Dann schlidderte er die Leiter so schnell hinunter, wie es nur ging. Den Schmerz in seiner gesunden Hand verspürte er gar nicht. Der Sturm beutelte ihn.
Kein weiterer Schuß fiel. Doch im Dunkeln verfolgte ihn jemand.
Tyne kletterte von der Leiter auf einen schmalen Steg. Hier war Schutz. Die Architekten hatten diesen Teil der Fassade mit einer Reihe kleiner Nischen geschmückt. Wenn Murray irgendwo in der Umgebung war, dann war die Chance dafür hier am größten. Als Tyne die erste Nische betrat, flog mit schrillem Geschrei ein Vogel vor ihm auf. Er wartete, bis sein Herz wieder normal schlug.
Dann ging er von Nische zu Nische. Es war ein nervenaufreibendes Unterfangen. Der Boden war mit schlüpfrigem Vogeldreck übersät, was das Gehen gefährlich machte.
Gerade als er die dritte Nische erreicht hatte, kam ein wäßriger Mond kurz hinter den Wolken hervor. Tyne schaute über die Schulter zurück und sah, wie eine Gestalt die Leiter herunterkletterte, die er kurz zuvor benutzt hatte. Mensch oder Roskianer? Wenn es ein Mensch war, war es vielleicht Murray. Hastig drehte Tyne sich um. Sein Fuß rutschte auf dem schlüpfrigen Boden aus und glitt über die Kante.
Bevor er wußte, wie ihm geschah, war Tyne schon vom Steg gestürzt. Einen Moment lang versuchten seine zehn Finger – fünf davon schmerzendes Fleisch, fünf purer Stahl –, sich an irgend etwas anzuklammern. Dann prallte er auf die Wasseroberfläche.
Schwarzes Wasser schlug über ihm zusammen. Als er prustend wieder hoch kam, entdeckte er, daß er innerhalb des Planktonnetzes war.
Von weit, weit weg schien ihm jemand etwas zuzurufen. Der Regen schlug wie eine harte Wand auf ihn ein. Tyne schluckte eine Menge Wasser, als er auf die Mauer zuschwamm.
Dann ertönte über all dem Krach ein neues Geräusch. Tief und stetig klang es wie das Brummen eines gigantischen Bullen. Tyne fühlte, wie seine Beine erfaßt wurden, wie er nicht weiter vorwärts kam. Er wurde unter Wasser gezogen. Verzweifelt kämpfte er und schrie nach Hilfe. Er wußte, was geschah: die Unterwasserschleusen hatten sich geöffnet, und er war innerhalb des Netzes. Aus ihm würde Planktonbrei werden.
Irgendwo unter ihm öffneten sich
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