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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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nicht zu beunruhigen. Es ging um irgendein neues Projekt, für das eine Produktionsfirma namens C.   I. noch Autoren suchte. Da hieß es schwitzen und pitchen und pitchen und schwitzen und plotten und schwitzen und schwitzen und plotten. Zu Steinzeiten hatte man Brainstorming gesagt, aber das ist vorbei. Mir graute jetzt schon davor, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen, mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof zu fahren, dann mit dem Zug nach Berlin, mit dem Taxi zu irgendwelchen Beknackten, mir unter Beknacktenaufsicht stundenlang das Hirn auszuwringen und abends den ganzen weiten Weg wieder zurück.
    Aber was blieb mir übrig?

DIENSTAG
    Glück ist positiver Cashflow
    Halb sieben. Meine Güte, so früh! Ich hatte den Wecker auf acht gestellt. Immer wenn eine Reise bevorsteht, und sei sie noch so klein und kurz, wache ich schweißgebadet und Stunden zu früh auf. Die Nerven. Bereits eine lächerliche Tagestour nach Berlin ist zu viel. Oder war es der Ärger darüber, dass ich mich auf die Aktion, den Quatsch, die Zeitverschwendung, den Unfug überhaupt eingelassen hatte? C.   I.   Für was das wohl stand? Corporate Identity? City-Idee? Oder einfach
gar nichts
. Hybridformat, First Mover Advantage, Total Buyout, Production Value, Frontloading, Full Season Pickup, Spinoff. Ich kannte mich aus. Audience Flow heißt seit neuestem Lead in. Die Werbe und Medienszene kreiert wie unter Zwang ständig neue Begriffe für alte Tätigkeiten. «Wir machen uns in kleiner Runde Gedanken.» Vielleicht kommt das ja eines Tages wieder. Eine Wohltat. Bis dahin bin ich eben eine One Man Pressuregroup, Upgrade der Ich-AG.
    Ich habe mir für Kurzreisen eine vierhundertfünfzig Euro teure Reisetasche aus rotbraunem Leder (bedrohte Tierart) zugelegt. So was nennt man in Männermagazinkreisen einen Weekender. Die teure Anschaffung hat ausschließlichreisepsychologische Gründe, denn die Garnitur Unterwäsche (wieso eigentlich?), Minikulturtasche (wieso eigentlich?) und Chinakladde würden auch in einem Jutesack mit Betonung auf Sack Platz finden. Ich möchte jedoch nicht für einen
Honk
– irgendwie echt gutes Wort – gehalten werden, der irgendwo hingurkt, sondern für einen Kunst- und Kulturschaffenden, der eine Reise antritt. Eine Reise antreten oder irgendwo hingurken, das ist nämlich der feine Unterschied. Am Gepäck sparen heißt an der falschen Stelle sparen.
    Die Zeit bis zum Reiseantritt verbrachte ich mit einer Kanne grünem Tee vor dem Fernseher, wo sonst. Im «RTL Shop» wurden, wie üblich, hanebüchene Artikel angepriesen, angeblich proseccofarbene Blusen der Größen 46 bis unendlich, mit Schmetterlingen und Bienchenapplikationen für
starke
Frauen. Von wegen prosecco, leberwurstfarben waren die Blusen! Walter Freiwald: «Edel pur.» Wieder mal hatte ein anderer T V-Shop die Nase vorn, in diesem Fall HSE 24 (Slogan: «Ich seh shoppen»). Harald Glöckler, nach Angaben des Senders Modemacher, Visionär und Kosmopolit, hatte jetzt auch eine Schmucklinie im Programm, natürlich im bewährten Pompöös-Look (Pompöös mit Doppel-ö). O-Ton Harald Glöckler: «Es sieht einfach
reich
aus. Der Ring wirkt, als würde er zehn Millionen Dollar (Dollar!) kosten, er kostet aber nur 79,99.» Der Mann weiß, mit welchen Argumenten er seine Produkte unter die Leute bringt. Üben, Walter!
     
    Als ich vor die Haustür trat, wurde ich beinahe von einem Fahrradkurier totgefahren. Die Sau drehte sich kurz umund raste dann ohne ein Wort der Entschuldigung weiter. Fahrradboten benehmen sich wie die Axt im Walde und tun immer, als ob sie was ganz Besonderes wären. Wieso eigentlich? Das sind doch durch die Bank Hänger, die für einen Hungerlohn den lieben langen Tag vom Fotografen zur Agentur und wieder zurück radeln, nichts vor dem Komma und nichts dahinter. Das einzige, objektive Plus: der
Mehrwert
ihres Hiwi-Jobs: sehnig, drahtig, kantig, ausgemergelt. Wahrscheinlich sind Fahrradboten ungerechterweise die glücklicheren Menschen. Das stupide Strampeln an der frischen Luft macht den Kopf frei und trocknet die schlechten Säfte aus. Ich blickte dem Kerl hinterher. Kopfschüttelnd. Hier war mal wieder Vater Staat gefragt. Im nächsten Leben gründe ich einen Fahrradkurierdienst mit extra alten Kurieren. Übergewichtige Pensionisten, die ihre schweren Klappräder (Massivrahmen, Bleileitungen, eingerostete Ketten) mit rasselnden Lungen durch die Innenstädte treten und für die Zustellung fast so viel Zeit benötigen wie die Post. Aber noch befand

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