Die Zunge Europas
Subventionsmilliarden, die den Riesen künstlich am Leben halten, fließen nicht etwa in die überfällige Sanierung des maroden Streckennetzes oder den Ausbau des Güterfernverkehrs (von wegen, schön wär’s, dreimal laut gelacht. Hahaha), sondern zum einen Teil auf die Schweizer Konten der Führungsmafia, zum anderen Teil in Pensionsfonds, damit die elenden Bahnbediensteten zusammen mit ihren Großfamilien im Alter leben können wie die Maden im Speck. Höhepunkt und Abschluss eines solchen Gesprächs
muss
eine Hasstirade über das missglückte Design der Bordgastronomie sein: Designruine DEUTSCHE EISENBAHN. (Da soll mal Harald Glöckler Visionär ran.)
Egal. Also China. China, Angstgegner Nr. 1. Was wohl wäre, wenn jeder der schätzungsweise fünf Fantastillionen Chinesen bis 2018 ein eigenes Auto besäße? Spätestens dann würde die völlig außer Kontrolle geratene gelbe Population die Welt endgültig mit in den Abgrund reißen. Die Aussicht auf die bevorstehende Katastrophe begeisterte den Fischigen, die Rolle des Untergangspropheten war ihm wie auf den Leib geschrieben. Ich überlegte, ob man China nun eigentlich mit K ausspricht (Kina) oder mit extrabutterweichem SCH (Schina). Franz Josef Strauß hat immer Kina gesagt, wahrscheinlich der wahre Grund dafür, dass Mao ihn seinerzeit eingeladen hat. Na ja, man weiß es nicht, Schnee von gestern. Mir fiel ein Satz aus einemInterview mit Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ein: «Die Wirtschaft hatte bis zum heutigen Tag keine systematische Krise.» Punkt, aus, Ende der Durchsage. Überhaupt: Ackermann, Deutsche Bank, DAX, Finanzmärkte, Dow Jones, Nikkei Index. Vielleicht war das eine Marktlücke, Humor rund um die große, weite Welt des großen, weiten Geldes. Titel der auf unserem neuen Haussender n-tv ausgestrahlten Primetimeshow: «Global Player». Sven in seiner neuen Figur als ätzender Finanzhai mit Maßanzug und Hosenträgern. Wall Street –
Vorläufige Materialsammlung:
«Brrr, wenn ich an eine zu dünne Eigenkapitaldecke denke, fange ich sofort an zu frösteln.»
«Totes Kapital erdrückt, nur lebendiges Kapital ist fröhliches Kapital.»
«Einer Wertschöpfungskette sollten niemals die Perlen ausfallen.»
«Eine Warnung wird es bei mir nie geben, nämlich die Gewinnwarnung.»
Und, jetzt aber echt mal witzig: «Ein Hedgefonds ist kein Streichelzoo.»
Danach geht’s in medias res:
«Primärziel ist die deutliche Verkürzung der Produktzyklen, vorrangiges Ziel Synthese von Produktinnovation und Markenidentität, nicht länger unlösbare Widersacher, sondern Blutsbrüder, Quadratmeterrentabilität, Sports und Lifestylepositionierung mit Schwerpunkt im Luxussegment. Humanressourcen müssen vom Image des Renditehemmers befreit werden, und: Eine Marke ist vor allem eins: ein Geisteszustand.»
Mickymausens Handy ging. Klingelton: «Toxic» von Britney Spears. Hatte ihm wohl seine Tochter draufgespielt. Wer hört denn heutzutage noch Britney Spears? «Krähenberg, guten Tag.» Aha, Herr Krähenberg. Er hatte trotz schmächtiger Statur eine Lagerhallenstimme, so genannt, weil man sich damit in mehrere Quadratkilometer großen Logistikcentern auch auf weite Distanzen problemlos durchsetzt. Zum Krähenberg’schen Geschnatter addierte sich plötzlich hochfrequentiges Gezischel. Ich schaute mich um. Zwei Soldaten hatten ihre MP 3-Player aufgesetzt. Krähenbergs schneidende Lagerhallenstimme und das scharfe Gezischel verschmolzen zu einem akustischen Inferno, es war nicht zum Aushalten.
Das schien natürlich wieder mal nur mir so zu gehen. Meine Mitreisenden waren vertieft in Lektüre, schauten gedankenverloren aus dem Fenster, hielten ein Nickerchen oder unterhielten sich leise. Einer der wenigen guten Gründe für Reichtum: sich ein Erster-Klasse-Ticket leisten zu können. Ich saß auf einem «misanthropischen Rand, von dem aus ich die Unlust und das Unbehagen auf andere Menschen kultivierte» . (Peter Sloterdijk). «Die zunehmende Gereiztheit in den Metropolen lässt sich zivilisatorisch nicht mehr kompensieren» . (schon wieder Peter Sloterdijk). Peter Sloterdijk ist der Truck Stop der Philosophenszene. Das stimmt natürlich überhaupt nicht und ist himmelschreiender Quatsch, aber klingt irgendwie gut. Vom Ding her, Digga, vom Ding her! So, Peter, aufgepasst: Stichwort Desäkularisierung, Fundamentalismus. These: «Amerika haben wir schon verloren. Das ist kein westliches Land mehr.» Richtig oder falsch?
Ich schloss die Augen und
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