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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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immer noch ein Pferd.» Die Essenz eines ganzen Pferdesportkommentatordaseins, und in Wahrheit alles, was es über Pferdesport zu sagen gibt. Zum Glück konnte ich nochmal einschlafen.
     
    Ich musste mit meinen Kraftreserven heute besonders gut haushalten und bestellte deshalb ein Taxi, genauer gesagt ein Nichtrauchertaxi. Großvater seinerzeit war immer noch weiter gegangen: Das Tüpfelchen auf dem i seines umfangreichen Forderungskatalogs (Nichtraucher, Ledersitze, Mercedes der aktuellen Baureihe) lautete «Deutscher Fahrer». Ich lehnte mich zurück und atmete tief durch. Das Taxi roch nach Neuwagen. Den charakteristischen Neuwagengeruch erschnuppern bedeutet für Autofans ein sinnliches Vergnügen der S-Klasse . Vielleicht benutzte der Lenker (österreichisch für Fahrer, klingt tausendmal besser – Taxilenker/​Erdäpfel/​Fisolen/​Holzpyjama, herrlich, ich könnte die Reihe beliebig fortsetzen) auch Neuwagenspray, das diesen unvergleichlichen Duft perfekt nachahmt. Neuwagenspray ist nach Autotelefonattrappen das nutzloseste Produkt aller Zeiten. Autotelefonattrappen erfuhren eine sehr kurze Blüte zu Beginn der Neunziger, als Handys noch ausschließlich den oberen Zehntausend vorbehalten waren. Eine kleine Firma mit großem Riecher stieß sich im schmalen Zeitfenster gesund und befriedigt jetzt hoffentlich die Nachfrage für ein vergleichbares Nischenprodukt.
     
    Ich war zehn Minuten zu früh. Hier wohnte sie also. Unschlüssig stand ich vor dem maroden Gründerzeitgebäude, blickte an dem ollen Kasten hoch und fragte mich, wann er wohl der Abrissbirne zum Opfer fallen würde. Das Haus starrte mich aus blinden Scheiben an und schämte sich. Jaja, der Lack ist ab, denkt das Haus. Nur zu gern würde es den Besuch guten Gewissens hereinbitten, aber die Begehung des Treppenhauses ist mit Risiken behaftet. Das Geländer ist locker, und aus dem von unzähligen harten Wintern verwitterten Klingeltableau (Grünspan) hängen die Kabel raus wie überlange Nasenhaare. «Betreten auf eigene Gefahr!», würde das Haus rufen, wenn es denn rufen könnte, und es schlottert trotz der Hitze vor Angst, seinen hundertsten Geburtstag im kommenden Jahr nicht mehr zu erleben. In welcher Absicht der Mann wohl gekommen ist? Wie einer vom Bauamt sieht der jedenfalls nicht aus; die trauen sich sowieso nicht mehr her, seitdem das Haus, quasi in Notwehr, einen losen Ziegel hat fallen lassen, um die Pissnelken zu vertreiben. Doch das war leider ein Eigentor gewesen, denn gleich nach dem Vorfall wurde im Eilverfahren der Notabriss beschlossen, und nun würde alles ganz schnell gehen. Ich konnte dem Haus nicht helfen, und das Haus konnte mir nicht helfen, unsere Wege trennten sich, und jeder musste sehen, wie er/​es allein klarkam.
    Janne heißt mit Nachnamen Schultz. Schultz/​Lehmann/​Berger war mit trauriger Kinderschrift auf einen welligen Fetzen Klebeband gekrickelt. Eine Wohngemeinschaft, und noch dazu eine, die sich aus Personen mit den langweiligsten Nachnamen Deutschlands zusammensetzt.
    «Markus?»
    «Genau.»
    «Wart mal, ich komm runter.»
    «Ja, ist gut.»
    Das war nochmal gutgegangen. Ich hatte schon befürchtet, hochgebeten zu werden, und mich einem WG-typischen Verhör stellen zu müssen: Drei überirdisch schöne, klapperdürre Frauen lümmeln sich rauchend und Gin Tonic trinkend in einer sonnendurchfluteten Wohnküche und fühlen mir so ganz nebenbei auf den Zahn. Sie heißen Zoë oder Sumi, was in der Richtung, und benehmen sich auch so: überkandidelte Möchtegernkünstlerinnen mit überspannten Namen, humorlose Gernegroße, oder wie die weibliche Form von Gernegroß geht. Gernegroßinnen? Von Zeit zu Zeit schöpfen sie mit einer Riesenschöpfkelle Honig oder Nuss-Nougat-Creme aus überdimensionalen Honig- oder Nuss-Nougat-Creme-Bottichen. Trotzdem bleiben sie dünn, lächerlich dünn. Sie könnten wochenlang rumdösen und Schnaps trinken und Zigaretten rauchen und Käse und Süßigkeiten essen und nicht aufs Klo gehen, sie werden weder dick noch traurig, noch bekommen sie Verstopfung. Beneidenswert.
    Gerade am Anfang ist es wichtig, dass alles gutgeht. Später, wenn alles läuft, darf auch mal ein Malheur passieren, aber nur was Kleines (Portemonnaie fallen lassen/​Knopf am Hemd geht ab/​Schwitzfleck). Worüber ich mir schon wieder Gedanken machte. Verrückt. Unnötig. Überflüssig. Paranoid. Zwischen uns war nichts, ist nichts und wird nie was sein, im schlimmsten Fall wird’s langweilig.

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