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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Peinlichkeiten ja eine gewisse
hermeneutische Geilheit
aus, im vorliegenden Fall jedoch nur Fassungslosigkeit. Hier hat sich ein Gebrauchsschreiber an etwas verhoben, von dem er besser die Finger gelassen hätte. Grotesker kann man nicht scheitern. Amen.
    Auweia. Volle Breitseite. Arschgeigen.
    Die Herrschaft der Literatur muss zugunsten des reinen Erzählens aufgegeben werden! Geschwätzigkeit ist ab sofort ausdrücklich gestattet!
    Der Bedeutungsflur wird frei gemacht, und zwar mit der Sense!
    Produktion von Sinn durchs Erzählen, ohne dass Sinn vorausgesetzt wird! Denn: Durchs Erzählen wird erst Sinn produziert!
     
    Ich schaltete den Fernseher ein. Die Scheißsonne strahlte direkt auf den Bildschirm. Alles macht die Sau kaputt, selbst die Kontraste auf dem Bildschirm. Ich schloss die Vorhänge und blieb nach kurzem Zappen beim Ersten hängen. Das Erste ist die Heimstätte für Menschen, die demnächst aus allen Zielgruppen herausfallen, es bleibt ihr treuer Begleiter bis zum Ende. Irgendwann ist auch malgut mit ständigen Produktwechseln und bewährte Kaufpräferenzen In-Frage-Stellen. Ein neuer Trend? Lächerlich! Verschlafen! Aussitzen! Einen drauf hobeln! DVD, iPod, Wireless Lan, von wegen. Back to Mono! Commodore C64, mein Lieblingscomputer ever, eine Hightech-Maschine mit menschlichem Antlitz, deren Rechenleistung für «Henrys House», das beste Computerspiel der Welt, dicke gereicht hatte: Die Aufgabe des Spielers bestand darin, eine quasi halbdimensionale,
sehr
einfach animierte Figur (Henry) mit einem extradoppeltklobigen Joystick durch ein mit toten Gängen und Falltüren gespicktes Gebäude (House) zu lotsen, wobei jede Aktion von digitalem Quäksound in vier/​drei/​zwei/​eins Bit Auflösung untermalt worden war. Besser geht’s doch nicht.
    Die einen fallen mit Ende zwanzig aus dem Zielgruppenraster, wg. Starrsinn, Scheuklappen und Verkalkung, andere gehen bis weit ins sechste Lebensjahrzehnt in die künstliche (gekünstelte) Verlängerung. Faustregel: Solange einem auf der Straße noch Diskotheken-Flyer zugesteckt werden, ist alles in Ordnung; wenn man irgendwann Luft wird für die blutjungen Promo-Affen, heißt es ab ins Forsthaus. Diskotheken-Flyer sind das Zünglein an der Waage, ist tatsächlich so. Das Leben gibt auf komplizierte Fragen oft verblüffend einfache Antworten.
    Im Ersten lief Pferdesport, Liveberichterstattung von einem international bedeutenden Springreitturnier. Springreiten nimmt noch hinter Renn- und Dressurreiten in der steil ansteigenden Langweiligkeitsskala den ersten Platz ein. Pferdesport ist Nazi-Amüsement (herrlich, schon wieder was mit Nazi). In ihren bretthart gestärkten S A-Klamotten sehen die humorlosen Reiter aus wie reinrassige Gauleiter. Pferde sind dümmer als Schweine. Schweine sind die eigentliche Herrenrasse, nicht die dämlichen Gäule mit ihren extralangen Pferdegesichtern. Nutzen lässt sich vom Pferd lediglich die Wurst, die allerdings mit viel Ketchup, Majo und Gewürzmischungen
hochgejazzt
werden muss, damit’s nicht so nach Pferd schmeckt.
    Der von seinem Elitesport berauschte Kommentator sprach anmaßend leise, um sich von den grölenden Fußball- oder sonstigen Prollreportern abzugrenzen. Leise, aber intensiv, ein Pferd sagt mehr als tausend Worte. Rasputin aus dem Gestüt Ed von Schleck. Oder so. Name des Reiters: Dr.   Ernst Oertzen. Der Reporter klang immer intensiver, als hätte er sich vor andächtiger Freude in die Hose gekackt. Pferdewurst, haha! Das Gespann Rasputin/​Oertzen war Favorit. Nur noch vier Hindernisse! Phantastische Zeit! Gesamtsieg! Hopphopphopp, tschakka, du schaffst es! Der Herrenmenschenreporter rutschte aufgeregt in seiner übervollen Windel hin und her. Dann das Unfassbare: Rasputin stoppt beim Anlauf auf das vorletzte Hindernis. Vollbremsung. Von hundert auf null, irgendetwas musste das Tier irritiert haben. Dr.   Oertzen versucht, sich in der Mähne festzuklammern, rutscht jedoch über das Hinterteil in den Staub und bleibt seltsam verrenkt liegen. Stille. Schweres Atmen, Mundgeschnalze, Schnauben, Rascheln, Schlucken, es gibt nichts mehr zu kommentieren. Endlich kommen zwei Sanitäter herbei und helfen Dr.   Oertzen auf die Beine, der aber sogleich wieder einknickt und erneut auf dem Hosenboden landet. Statt endlich was zur Sache zu sagen, kommt dem offenbar völlig geschockten Reporteretwas ganz und gar Irres aus dem Mund gepullert: «Ein Reiter ohne Pferd ist nur ein Mensch, aber ein Pferd ohne Reiter ist

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