Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
Vom Netzwerk:
Kaffee.
    Oder anders:
    Der Satz wurde gesagt wie andere Sätze auch. Er hallte im Schlauchflur wider, drang in ihn ein wie in Brei. Irina schaute ihn
an, prüfte, wie der Satz in ihm versickerte. Ihre Knochenkaltfinger berührten ihn kurz an der Schläfe. Sie schritt die Runde ab und wurmfortsatzte zum Ausgang. Tschüs! Er stand bewegungslos da, zurückgelassen in der Runde, die er nicht kannte und die den Satz und seine Bedeutung nicht kannte. Die Runde sprach, aß, trank, lachte in Unkenntnis des Satzes. Er ging in die Küche. Die kalte Küche. Er riss sein Maul auf und rotierte ein Fuder Oliven in den Schlund. Seine Nüstern bliesen Pistazienkerne weg. Nur voll den Schlund! Das gestopfte Maul ließ ihn den Satz nicht sagen können.
    «Iss Käse dazu.» Ruts Stimme durchschnitt den Raum. Ruckartig fuhrwerkte sie auf ihn zu. Eine Olive flutschte ihm seitlich aus dem randvollen Maul. Rut walzte sie platt, obszön und hässlich. Ob sie etwas bemerkte? Er sah sie vor sich; wie sie die grünen Sitzpolster vollgereihert hatte auf dieser ensetzlichen Fahrt nach Koblenz vor drei Jahren, als er noch mit Sybille verheiratet gewesen war. Gelbe Kotze auf grünem Grund. Die fette Gelbkotzrut im geleasten Kleinwagen. «Lass», sagte er. «Ich gehe.» Er ging in Hartmuts Zimmer. Saurer Atem. Hier roch es immer nach saurem Käseatem, gemischt mit Fersenhorn. Wie machte Hartmut das nur.
    «Bleibt es bei Donnerstag?» Karl hatte ihn am Arm gepackt und schaute ihn fragend an. Mein Gott, der Satz. Der Satz fiel ihm wieder ein. Er fletschte die Zähne und gurrte.
    Na ja, so oder so, auf jeden Fall schien es mir ratsam, mich an gewisse
Gesetze
zu halten. Sonst kriegt man’s dicke:
    Markus Erdmann ist Comedy-Autor. Dies möge eine Erklärung sein dafür, warum sein literarisches Debüt hilflos zwischen burleskem Männerwitz und peinlich-bemühter Zerebralität oszilliert, ohne sich für das eine oder andere entscheiden zu können. Das hätte allerdings auch nicht geholfen: Der Text ist ein rundum misslungenes
Ärgernis: Ohne Sound, Gehalt, innere Rhythmik und Strömung holpert das grobmaschig gestrickte Geschwätz von Schlagloch zu Schlagloch, die an allen Ecken knarzende Syntax eingeklemmt zwischen den rostigen Scharnieren affekthascherischer Neologismen. Nach einer einheitlichen Erzählperspektive oder gar ästhetischer Konsistenz sucht man vergebens. Der durchgängig kolportagehafte Ton, die verhaspelten Satzperioden und unsinnigen Steigerungen, Erdmanns
peinlicher
, durchschaubarer Versuch, durch pathetischen Überschwang so etwas wie Welthaltigkeit vorzutäuschen, ist in seiner offensichtlichen Dreistigkeit in der jüngeren Literatur ohne Beispiel.
    Worum geht es? Sein Onkel, ein offenbar gottgleicher Alleswisser in Sachen Kaffee, ist mit einem einmaligen Talent ausgestattet, einem geradezu überirdischen Geschmackssinn, der ihm im Hamburger Freihafen, einem der international wichtigsten Umschlagplätze für Rohkaffee, den Spitznamen «die Zunge Europas» beschert hat. Fertig. So abenteuerlich dieser «Plot», so dilettantisch die Umsetzung: Schon nach wenigen Seiten erstickt die anekdotenselige Erzählung in stilistischer Bürokratie und musealer Drögheit. Der krampfhafte Versuch, Zeitkolorit zu transportieren, wendet sich gegen den Text, das an sich reizvolle Leitmotiv wird zermahlen wie eine, ja, sagen wir es ruhig: Kaffeebohne. Das in überaus unanschaulicher Kulissenhaftigkeit erstarrte Szenario, die inkonsistenten, nur wie durch Nebelschleier wahrnehmbaren Figuren und jeglicher Mangel an sinnlicher Qualität lassen das auf 642   Seiten aufgeblasene Geschreibsel in den Untiefen eines alpinen Urgesangs, eines hooliganartigen Gegröles versinken, ohne allerdings dessen Kraft zu besitzen. Erdmann hat während seiner endlosen Recherchen allerhand laue Geschichtchen zusammengetragen, die wichtigste Grundregel jedoch missachtet: In der Literatur geht es eben nicht um «Authentizität»,
ist diese doch allemal nur künstlich hergestellter Effekt! Wahrscheinlich ist es eine
Déformation professionelle
von Comedy-Autoren, dass sie Effekt nicht von Effekthascherei zu unterscheiden vermögen. Doch nicht einmal das Effektehaschen will Erdmann mit dieser ermüdend eindimensionalen Abbildung ohne jede Konstruktion und Textökonomie gelingen. Der Text versucht immer wieder Luft zu holen, stürzt jedoch aufgrund akuten Sauerstoffmangels nach wenigen Schnappatmern ab in wattiertes Gebrabbel. Manchmal lösen stilistisch verunglückte

Weitere Kostenlose Bücher