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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Schoppen Weißwein aus einem geriffelten Schoppenglas mit Alpenmotiven getrunken.
    «Schon wieder Bier? Das ist Folter. Bierfolter. Hier ist es doch schrecklich. Komm, wir stellen uns wenigstens nach draußen.»
    «Ja, gut.»
     
    An der Tür kamen uns die Gangstas aus dem
1900
entgegen. NIKES Augen waren extrem gerötet, sein Trainingsanzug mit Kotze und/​oder etwas anderem Ekligen bekleckert. Er schaute mich an und dann Janne und dann wiedermich. Verzweiflung, Wut, Begehren und Trunkenheit. Oje, gleich würde er mir eine scheuern, jetzt war ich der Affe.
    Es huschte jedoch eine Art anerkennendes Grinsen über sein Gesicht.
    «Ey, Digga, euch kenn ich doch. Was geht denn?»
    Ich rief die einzige Phrase ab, die mir zu dem Thema einfiel.
    «Einiges, Digga, einiges.»
    «Richtige Antwort. Gib mir fünf.»
    Mir blieb nichts übrig, als mitzumachen. NIKE ging direkt zu dem Tisch, auf denen die Mädchen tanzten bzw. schunkelten. Kehrausmusik, Balladen, Rausschmeißer. Seinen Kollegen sah man die Erschöpfung an, aber Chef ist Chef, und wenn der noch nicht nach Hause will, dann will er noch nicht nach Hause. NIKE feuerte die Mädchen an und sang mit. Woher um Himmels willen kennt er nur den Text?
    Du hast ja Tränen in den Augen.
    Ich weiß, die gelten mir allein.
    Mir sagt das Lächeln deines Mundes,
    Es müssen Freudentränen sein.
    Es war nichts mehr von ihm übrig, der Text passte zu seiner Verfassung wie die Faust aufs Auge. Vielleicht kennt er das Stück (die deutsche Version von
Cryin’ in the Chapel
) von zu Hause (Mutter Schlagerfan). Er brüllte in waidwundem Ton mit:
    Lange war ich in der Ferne,
    Es war ein weiter Weg zu dir,
    Mir sagt das Schlagen deines Herzens,
    Du gehörst noch heut zu mir.
    Costa Cordalis! Den kann jemand wie er doch eigentlich nur aus dem RTL-«Dschungelcamp» kennen. Seine Kollegen schämten sich. Dass ihr Chef solche Scheiße überhaupt kennt, geschweige denn gut findet.
    Und die Tränen in den Augen,
    Die will ich niemals wieder sehen,
    Denn das Lächeln deines Mundes
    ist ja tausendmal so schön.
    Nach ihrem frustrierenden Abgang aus dem
1900
sind sie ziellos auf dem Kiez herumgeirrt, Dutzende Mädchen haben sie angesprochen, jedoch mit ihrer armseligen Kanaksprak nie den richtigen Ton getroffen, immer zu laut, zu besoffen, zu dumm, ohne Gespür für irgendwas, lächerliche Abziehbilder. Volksvergnügen wie Dom, Hafengeburtstag oder Alstervergnügen wären das Richtige für sie, kein Eintritt, keine Türsteher, keine Kleiderordnung, und mitgebrachten Alk kann man auch problemlos saufen. Was darüber hinausgeht, überfordert sie hoffnungslos. Aber sie sind noch so jung, das kann doch unmöglich alles gewesen sein, jetzt doch noch nicht! Sie wollen einfach nicht begreifen, dass es für sie keine Verwendung gibt, sie einer sinnlosen Überproduktion entsprungen sind, dass kein Platz auf dieser Welt ist für sie und ihr einziger Sinn und Ausweg: sich einem Selbstmordkommando anschließen.
    Ihre vorletzte Station war eine Tabledancebar gewesen.Eintritt frei, dafür kostet das Bier zehn Euro, andere Getränke sind unbezahlbar. Merkwürdig, dass der Koberer sie überhaupt reingewinkt hat, wo man ihnen tausend Meilen gegen den Wind ansieht, dass sie kein Geld haben. Die Tänzerinnen sind eigentlich gehalten, sich zu jedem neuen Gast zu setzen, um ihm Getränke aus dem Kreuz zu leiern (ein paar sind auch Nutten), aber bei der Loserbande ist nix zu holen. Die Girls blicken Rat suchend zum Chef, wieso schmeißt der die Asis nicht raus, er ist doch sonst nicht so? Aber der Chef reagiert nicht, vielleicht denkt er grad an was anderes, oder er lässt aus unerfindlichen Gründen Gnade vor Recht ergehen oder weiß der Kuckuck. Die Jungs setzen sich direkt an die Tanzfläche, nippen an ihren Bieren und versuchen, einen möglichst gleichgültigen Eindruck zu machen, was ihnen nicht gelingt, denn sie sind nicht cool und abgebrüht, sondern heiß und aufgeregt. Auf der Bühne müht sich eine untersetzte Filipina mit dicken Oberschenkeln ab, sie öffnet ihren BH. Die traurig herabhängenden, wulstigen Nippel passen nicht zu ihrem Minibusen. Ihre Art zu tanzen grenzt an Arbeitsverweigerung.
    Brown girl in the ring,
    Sha la la la la here’s a brown girl in the ring,
    Sha la la la la,
    Brown girl in the ring,
    Sha la la la
    She looks like a sugar in a plum.
    Plum plum.
    Eigentlich ist Feierabend, aber wann
genau
der ist, bestimmt ausschließlich einer, nämlich der Chef, und bis dahin wird getanzt und sich

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