Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Halbfinalniederlage ausgesetzt sah, vor allem vonseiten der »Bild«-Zeitung, hat Joachim Löw keinesfalls verdient. Ich fand es respektlos, wie da nach einer Niederlage an einem Trainer gerüttelt wurde, den man einen Tag vorher noch als den besten Trainer der Welt hochgejubelt hat. Diese Herabsetzungen haben ihn verletzt, das kann er nicht so einfach abschütteln, auch wenn er das öffentlich nicht zugeben wird. Ich denke, er wird in den nächsten zwei Jahren mögliche Angebote aus dem Profifußball nicht mehr ganz so selbstverständlich ablehnen wie bisher. Wie ich ihn kenne, wird er innerlich offener sein für einen eventuellen Wechsel als vor der EM . Denn er weiß genau, wenn er es 2014 wieder nicht schafft, wird er es noch schwerer haben, den Absprung in einen lukrativen Job als Vereinstrainer zu schaffen.
Der Weg zum FC Bayern scheint ihm ohnehin vorerst versperrt, nachdem dort Matthias Sammer als Sportdirektor angeheuert hat. Wenn Uli Hoeneß an eine Verpflichtung Löws denken würde, hätte er nicht Sammer geholt. Ich mag sie zwar beide, aber menschlich und charakterlich würden Löw und Sammer in einem so engen Umfeld wie in einem Verein nicht zusammenpassen.
Wie geht es also weiter mit Joachim Löw und der Nationalmannschaft? Wie wird die sportliche Leitung sich positionieren, welche Rolle wird der neue Sportdirektor spielen? Ich persönlich hätte ja Jens Lehmann für eine treffliche Wahl gehalten, aber Robin Dutt ist fachlich gewiss eine sehr gute Lösung für diese Position. Er hat in Freiburg ausgezeichnete Arbeit geleistet, ist aber zuletzt in Leverkusen nicht so gut zurechtgekommen und musste bei Bayer vorzeitig gehen.
Dutt wird es aber nicht leicht haben, Sammer zu ersetzen, den erfolgreichen Nationalspieler, der immer nach vorn drängt und sich nicht scheut, wenn nötig auch zu polarisieren und zu provozieren, damit sich keine Friedhofsruhe breitmacht. Die kann sich auch ein großer Verband an seiner Spitze nicht leisten. Joachim Löw und Oliver Bierhoff haben sich mit der Berufung von Robin Dutt einverstanden erklärt, ihnen gilt auch weiter unser Vertrauen. Wolfgang Niersbach wird sich gewiss mit der Mannschaft detaillierter und ausführlicher beschäftigen, als ich das getan habe. Die lange Leine, die die Verantwortlichen der Nationalmannschaft unter meiner Präsidentschaft genossen haben, wird wohl etwas straffer gezogen werden.
Sehr beliebt war nach dem EM -Aus das Argument, die deutsche Mannschaft habe deshalb verloren, weil nicht alle Spieler die Nationalhymne mit der gleichen Inbrunst gesungen hätten wie die siegreichen Italiener. Manche hielten sogar den Mund geschlossen und sangen überhaupt nicht. Ist es tatsächlich ein Anzeichen für fehlende Motivation, wenn unsere Fußballer nicht leidenschaftlich genug die Hymne mitsingen?
Ich halte das für eine dümmliche Diskussion. Natürlich braucht jede Nation Symbole wie Fahne und Hymne, und ich halte es auch für richtig, dass bei großen Sportereignissen die Hymnen gespielt und die Fahnen gezeigt werden. Die Nationalhymne Deutschlands, die dritte Strophe des Deutschlandlieds, besingt Werte, die man vertreten kann und soll. Ich finde es auch wichtig, dass schon Jugendleiter und Erzieher im Sport und anderswo mit den Kindern über diese Symbole und über den Text unserer Hymne sprechen und ihnen erklären, dass diese nationalen Symbole im Laufe unserer Geschichte in ganz anderem Zusammenhang verwendet und missbraucht wurden. In unseren Nationalmannschaften, bei den Profis wie bei den Junioren, wird über diese Themen gesprochen, keiner kann sagen, dass er nicht wisse, worum es geht.
Aber mal abgesehen davon, dass mancher Nationalspieler ähnlich unmusikalisch sein mag wie ich. Es gibt auch andere Gründe, warum der eine oder andere Spieler bei der Hymne schweigt. Kann man ernsthaft verlangen, dass Mesut Özil singt: »Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland«, wo doch jeder weiß, dass nicht Deutschland das Land seiner Väter ist, sondern die Türkei? Das heißt nicht, dass Özil sich nicht zu diesem Land bekennt, für das er Fußball spielt. Wie alle unsere Nationalspieler ist er stolz, Deutscher zu sein, und ist sich sehr bewusst, was dieses Land ihm gibt. Aber es ist nun mal nicht sein Vaterland.
Nach der Niederlage hat der Boulevard dieses Thema aufgegriffen in einer Form, dass viele Deutsche anschließend glaubten, die Mannschaft hätte verloren, weil einige Spieler die Hymne nicht gesungen haben. Natürlich
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