Die Zwanziger Jahre (German Edition)
gescheitert, und auch dieses Mal, so schien es mir manchmal, konzentrierten sich alle nur auf Spanien und hatten andere gefährliche Gegner gar nicht auf der Rechnung.
Die drei Siege in der vermeintlichen Hammergruppe waren keineswegs souverän. Aber alle hatten das Gefühl, die Mannschaft werde sich in der K. o.-Runde steigern, wie sie das in Südafrika ja auch getan hat. Der Sieg gegen Griechenland schien das zu bestätigen, aber für mich entstand nach diesem 4:2 eine Euphorie, die durch das Spiel nicht gerechtfertigt war. Das griechische Team hatte bestenfalls Bundesliga-Mittelmaß und dazu einen Fliegenfänger im Tor, der mindestens zwei Gegentreffer auf seine Kappe nehmen musste. Trotzdem kassierten wir in der zweiten Halbzeit den Ausgleich und mussten für eine kurze Phase ernsthaft ums Weiterkommen bangen. Nach diesem Spiel war mein Eindruck, dass wir eine deutliche Steigerung brauchen, um unser Ziel zu erreichen, Aber viele Leute haben sich blenden lassen durch die schönen Tore und die guten Passagen, die es ja zweifellos auch gab in dieser Partie.
Für das Halbfinale gegen die Italiener bin ich dann auch nach Polen geflogen. Bei unserer Ankunft in Warschau war nicht nur ich überrascht, als ich die Aufstellung erfahren habe; auch Reinhard Rauball, Uwe Seeler oder Matthias Sammer, die ich vor dem Anpfiff traf, haben gestutzt. Aber dann haben wir uns gesagt: Der Trainer wird schon wissen, was er tut. Bisher hat er doch immer richtiggelegen.
Es stellte sich heraus, dass das, was viele für einen Vorteil hielten, in Wahrheit ein Nachteil war – nämlich, dass fünf Tage zwischen dem Viertelfinale und dem Italien-Spiel lagen. Diese Pause war viel zu lang. Während die Italiener, die zwei freie Tage weniger hatten, im Rhythmus blieben, mussten unsere Spieler fünf Tage totschlagen. In dieser Zeit ist das Umfeld der Mannschaft offenbar völlig entrückt. Keiner wollte mehr wissen, gegen wen wir spielen, alles drehte sich nur noch ums Endspiel, und die Delegation, so wurde berichtet, habe sich schon Gedanken gemacht, ob der Titel besser in Berlin oder in Frankfurt gefeiert werden solle. Wir drohten den dritten Schritt vor dem ersten zu machen. Offenbar verfiel auch die Mannschaft in diese Stimmung, als sei der Rest des Turniers ein Selbstläufer.
Ich gehöre nicht zu denen, die nach dem Spiel immer alles besser wissen. Aber wenn wir das Italien-Spiel analysieren, so fällt doch auf, dass Löws Plan, vornehmlich die Kreise des italienischen Spielmachers Andrea Pirlo zu stören und damit seine Taktik mehr als sonst an der Spielweise des Gegners zu orientieren, unser eigenes Spiel mehr belastet hat, als Löw das wohl erwarten konnte. Andererseits funktioniert jede Taktik nur so gut oder schlecht, wie sie von den Spielern umgesetzt wird. Und die waren nach dem ersten Tor der Italiener so verunsichert, dass sie gleich das zweite gefangen haben. Nach diesem Rückstand war die Mannschaft offensichtlich nicht mehr in der Lage, aus eigener Kraft flexible Antworten auf den Spielverlauf zu finden.
Ich bin sicher, dass Joachim Löw sich selbst sehr genau hinterfragt, wo er Fehler gemacht hat. Aber ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er von einigen Spielern sehr enttäuscht ist, weil sie sein Vertrauen nicht gerechtfertigt haben. Er wird sich fragen, ob seine vermeintlichen Führungsspieler wirklich das Format haben, um bei der nächsten WM 2014 in Brasilien einen neuen Anlauf zu nehmen und sich reif für den Titel zu präsentieren. Wenn er die Leistung der Spanier im Finale gesehen hat, wird er Zweifel hegen, so wie wir alle.
Ist Bastian Schweinsteiger wirklich der Führungsspieler, auf den er sich verlassen kann? Haben wir nicht auch Philipp Lahm schon wesentlich besser gesehen als bei diesem Turnier? Was war mit Lukas Podolski? Und was mit Toni Kroos, der vorher große Sprüche gemacht hatte, weil er nicht spielte, und als er dann aufgestellt wurde, die Erwartungen bei Weitem nicht erfüllt hat? Löw verfügt jetzt über einen Kader von rund dreißig Topspielern, aber wie viele sind dabei, auf die er sich in jeder Situation verlassen kann? Sami Khedira gehört sicher dazu, er hat mit seiner Leistung ein positives Beispiel gegeben. Auch Mesut Özil, wenn er die richtigen Partner für sein Spiel an der Seite hat. Aber ob man das von jedem sagen kann, das wird Joachim Löw sich nach der Enttäuschung von Warschau gefragt haben.
Die heftige und teilweise persönliche Kritik, der er sich nach der
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