Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
an.
»Die backt meine Frau«, erklärte er Can, der sofort übersetzte, die Ehefrau des Parfümeurs sei die beste Konditorin von ganz Cihangir.
Alice ließ sich an den Arbeitstisch des Parfümeurs führen. Sie durfte an einigen seiner Kompositionen riechen. Die Kreationen, an denen er arbeitete, waren intensiv, aber harmonisch. Orientalische Düfte, die gut aufgebaut waren, aber wenig Originelles hatten.
Am Ende des langen Tischs entdeckte sie eine Schatulle mit verschiedenen Fläschchen, deren Farben ihre Neugier weckten.
»Darf ich?«, fragte sie und griff nach einem kleinen Flakon, der eine Flüssigkeit von eigenartigem Grün enthielt.
Can hatte die Frage noch nicht zu Ende übersetzt, als der Parfümeur ihn ihr auch schon aus der Hand nahm und in das Kästchen zurückstellte.
»Er sagt, das ist von keinem besonderen Interesse, es handelt sich nur um Experimente, die er zum Spaß vornimmt«, erklärte Can. »Eine Art Zeitvertreib.«
»Trotzdem würde ich sehr gerne daran riechen.«
Der Mann zuckte mit den Schultern und erklärte sich einverstanden. Als sie den Korken entfernte, war Alice erstaunt. Sie tauchte einen Papierstreifen in die Flüssigkeit und schnupperte daran. Anschließend stellte sie den Flakon zurück und machte es mit einem zweiten und dritten genauso. Dann wandte sie sich verblüfft zu ihrem Begleiter um.
»Nun?«, fragte Daldry, der bisher geschwiegen hatte.
»Das ist unglaublich, er hat in dieser Schatulle einen wahren Wald geschaffen. Auf die Idee wäre ich nie gekommen. Riechen Sie selbst«, sagte Alice und tauchte den Papierstreifen erneut in einen Flakon. »Der Geruch vermittelt den Eindruck, man liege auf dem Boden ausgestreckt unter einer Zeder.«
Sie nahm einen weiteren Streifen, schob ihn in ein anderes Fläschchen und schwenkte ihn unter Daldrys Nase.
»Aus diesem riecht es nach Pinienharz und aus dem da«, erklärte sie, während sie ein weiteres Fläschchen öffnete, »nach einer feuchten Wiese mit einer leichten Note von Herbstzeitlosen und Farn. Und aus dem da drüben nach Haselnuss …«
»Ich kenne niemanden, der sich mit Haselnuss parfümieren möchte«, brummte Daldry.
»Das ist nicht für den Körper, sondern das sind Raumdüfte.«
»Glauben Sie wirklich, dass es einen Markt für Raumdüfte gibt?«
»Denken Sie doch einmal an das Vergnügen, in seiner Wohnung die Gerüche der Natur wiederzufinden. Stellen Sie sich vor, wir könnten die Düfte der Jahreszeiten bei uns zu Hause versprühen.«
»Der Jahreszeiten?«, fragte Daldry erstaunt.
»Ja, den Herbst verlängern, wenn der Winter Einzug hält, im Januar bereits den Frühling mit seiner Vielfalt an Blüten entstehen lassen, im Sommer den Geruch von Regen verbreiten. Ein Esszimmer, das leicht nach Zitronenbäumen, ein Bad, das nach Orangenblüten duftet. Wohnungsparfüms, die keine Räucherkerzen sind, das wäre eine ganz neue Idee!«
»Na, wenn Sie es sagen, dann brauchen wir uns nur noch mit diesem Herrn anzufreunden, der angesichts Ihrer Erregung ebenso verblüfft scheint wie ich.«
Alice wandte sich jetzt an Can. »Könnten Sie ihn fragen, wie es ihm gelingt, diese Zedernnote so lange zu erhalten?«, bat sie und roch an dem Papierstreifen, den sie vom Arbeitstisch genommen hatte.
»Welche Note?«, wollte Can wissen.
»Fragen Sie ihn, wie er es gemacht hat, dass dieser Duft an der Luft nicht verfliegt.«
Und während Can das Gespräch zwischen Alice und dem Parfümeur, so gut er konnte, dolmetschte, trat Daldry ans Fenster und blickte auf den Bosporus, der hinter den beschlagenen Fensterscheiben nur undeutlich zu erkennen war. Wenn er sich von dieser Reise nach Istanbul auch etwas ganz anderes erhofft hatte, so wäre es durchaus möglich, dass er dank Alice eines Tages ein Vermögen verdienen würde. Seltsamerweise aber war ihm das vollkommen gleichgültig.
Alice, Can und Daldry bedankten sich bei dem Parfümeur, der ihnen den ganzen Vormittag gewidmet hatte. Alice versprach, bald wiederzukommen. Sie hoffte, dass sie zusammenarbeiten könnten. Der Mann hätte nie geglaubt, dass seine heimliche Leidenschaft eines Tages irgendjemanden interessieren könnte. Noch heute aber würde er seiner Frau erzählen können, dass die endlosen Stunden, die er abends, manchmal nachts in seinem Atelier arbeitete, die Sonntage, die er damit verbrachte, auf der Suche nach allen möglichen Blüten und Pflanzen durch Unterholz und Täler zu streifen, nicht, wie sie ihm vorwarf, der Zeitvertreib eines Verrückten waren,
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