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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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große Erleichterung, da sie sich Sorgen um Cömert Eczaci und seine Frau gemacht hatten. Und auch die Polizisten des Viertels waren froh, denn wir haben sie die ganze Zeit verdächtigt. Wissen Sie, wenn ich jetzt, fünfunddreißig Jahre später, in die Apotheke gehe, um meine Medikamente zu holen, damit dieses verdammte Bein Ruhe gibt, hebe ich beim Verlassen des Hauses den Kopf und habe den Eindruck, am Fenster gegenüber das lächelnde Gesicht von Cömert Eczaci zu sehen. Ich kann Ihnen also versichern, dass es mir wirklich viel bedeutet, heute Abend seine Tochter bei mir zu haben.«
    Hinter den dicken Brillengläsern von Herrn Zemirli sah Alice die Augen des alten Mannes feucht werden und fühlte sich dadurch weniger verlegen, weil sie selbst die Tränen nicht hatte zurückhalten können.
    Auch Can und Daldry konnten sich einer gewissen Rührung nicht erwehren. Zemirli zog ein Taschentuch heraus und wischte sich die Tränen ab. Er beugte sich vor und füllte die Teegläser erneut.
    »Lassen Sie uns auf den großzügigen Apotheker von Beyoğlu trinken und auf seine Frau.«
    Alle erhoben sich und brachten einen Toast aus … mit Pfefferminztee.
    »Und erinnern Sie sich auch an mich?«, wollte Alice wissen.
    »Nein, ich erinnere mich nicht, Sie gesehen zu haben. Ich würde Ihnen gerne das Gegenteil sagen, aber dann müsste ich lügen. Wie alt waren Sie damals?«
    »Fünf.«
    »Nun, das ist normal, Ihre Eltern arbeiteten, Sie gingen sicher zur Schule.«
    »Das ist absolut logisch«, sagte Daldry.
    »Was meinen Sie, in welche Schule könnte ich gegangen sein?«, fuhr Alice fort.
    »Sie haben keinerlei Erinnerung mehr daran?«, fragte Zemirli.
    »Nicht die geringste, da ist nur ein großes schwarzes Loch bis zu unserer Rückkehr nach London.«
    »Ach, das Alter unserer ersten Erinnerungen! Wissen Sie, das hängt ganz von den Kindern ab. Einige erinnern sich an mehr als andere. Aber sind das auch tatsächlich immer echte Erinnerungen, oder entstehen sie aus dem, was man uns erzählt hat? Ich habe bis zu meinem siebten Lebensjahr alles vergessen, vielleicht auch bis zum achten. Als ich dies meiner Mutter anvertraute, war sie außer sich und sagte: ›Du hast alle diese Jahre vergessen, in denen ich mich um dich gekümmert habe?‹ Aber Sie fragten nach der Schule. Ihre Eltern hatten Sie möglicherweise in Saint-Michel angemeldet, die Schule ist nicht weit von hier entfernt, und man unterrichtete dort auch Englisch. Es war eine strenge und angesehene Schule. Ihre Kartei dürfte gut geführt worden sein, Sie sollten dort einmal vorbeischauen.«
    Herr Zemirli schien plötzlich erschöpft zu sein. Can hüstelte, um zu verstehen zu geben, dass es Zeit sei, sich zurückzuziehen. Alice erhob sich und dankte dem alten Mann für seine Gastfreundschaft. Herr Zemirli legte eine Hand auf sein Herz.
    »Ihre Eltern waren so bescheiden wie mutig, ihr Verhalten war heldenhaft. Ich bin glücklich, nun die Gewissheit zu haben, dass sie ihre Heimat gesund und wohlbehalten wieder erreicht haben, und noch glücklicher, das Privileg gehabt zu haben, die Bekanntschaft ihrer Tochter zu machen. Dass sie Ihnen nichts von ihrem Aufenthalt in der Türkei erzählt haben, geschah sicher aus Bescheidenheit. Wenn Sie lange genug in Istanbul bleiben, werden Sie verstehen, wovon ich spreche. Gute Reise, Cömert Eczaci’nin Kizi.«
    Was ›Tochter des großzügigen Apothekers‹ bedeutete, wie ihr Can erklärte, als sie wieder auf der Straße waren.
    Es war schon zu spät, um an der Tür der Schule Saint-Michel zu läuten. Can würde sich am nächsten Vormittag dorthin begeben, um einen Termin zu bekommen.
    Während des Abendessens, das Daldry und Alice im Hotel einnahmen, sprachen sie nur wenig. Daldry respektierte das Schweigen von Alice. Hin und wieder versuchte er, sie zu erheitern, indem er pikante Anekdoten aus seiner Jugend erzählte, aber Alice war mit ihren Gedanken woanders und lächelte nur schwach.
    Als sie sich auf dem Treppenabsatz verabschiedeten, machte Daldry Alice darauf aufmerksam, dass sie guten Grund habe, sich zu freuen, denn Ogüz Zemirli war zwangsläufig die dritte, wenn nicht sogar die vierte der sechs Personen, von denen die Hellseherin in Brighton gesprochen hatte.
    Alice schloss ihre Zimmertür und setzte sich etwas später an ihren Schreibtisch vor dem Fenster.
    Anton,
    jeden Abend, wenn ich durch die Eingangshalle meines Hotels gehe, hoffe ich, der Empfangschef werde mir Post von Dir aushändigen. Diese Erwartung ist dumm,

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