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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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als Daldry, sie stützten sich gegenseitig und torkelten wie zwei Saufkumpane die Istiklal-Straße hinauf.
    Um das Zimmermädchen seine Arbeit erledigen zu lassen, hatte Alice sich im Salon neben der Bar niedergelassen. Sie schrieb einen Brief, den sie sicher nicht abschicken würde. Im Wandspiegel sah sie Daldry die große Treppe herunterkommen. Er plumpste in einen Sessel neben ihr.
    »Haben Sie den ganzen Bosporus leer getrunken, um sich heute Morgen in einem solchen Zustand zu befinden?«, fragte sie, ohne den Blick von ihrem Schreibpapier zu heben.
    »Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen.«
    »Ihre Jacke ist falsch geknöpft, und Sie haben sich nur auf einer Seite rasiert …«
    »Sagen wir, dass ich gestern Abend etwas tief ins Glas geschaut habe. Sie haben uns gefehlt.«
    »Daran zweifle ich keine Sekunde.«
    »An wen schreiben Sie?«
    »An einen Freund in London«, antwortete Alice, während sie das Blatt faltete und in ihre Tasche steckte.
    »Ich habe entsetzliche Kopfschmerzen«, gestand Daldry. »Begleiten Sie mich etwas an die frische Luft? Wer ist dieser Freund?«
    »Gute Idee, gehen wir. Ich fragte mich, wann Sie wohl wieder auftauchen würden. Ich bin schon im Morgengrauen aufgestanden und fing an, mich zu langweilen. Wohin gehen wir?«
    »Den Bosporus anschauen, das wird mir einiges in Erinnerung bringen …«
    Unterwegs verweilte Alice vor der Auslage eines Schuhmachers. Sie beobachtete, wie sich der Treibriemen einer Schleifmaschine drehte.
    »Haben Sie Schuhe zu besohlen?«, fragte Daldry.
    »Nein.«
    »Warum betrachten Sie dann seit gut fünf Minuten diesen Mann in seinem Laden, ohne etwas zu sagen?«
    »Passiert Ihnen das nie, dass bestimmte belanglose Dinge beruhigend auf Sie wirken, ohne dass Sie wüssten, warum?«
    »Ich male Kreuzungen, ich könnte daher nur schwer das Gegenteil behaupten. Ich könnte den ganzen Tag Doppeldeckerbusse vorbeifahren sehen. Ich liebe es, das Geräusch der Kupplung zu hören, das Schleifen der Bremsen, das Bimmeln der Glocke, die der Fahrer bei der Abfahrt betätigt, das Brummen des Motors.«
    »Was Sie mir da beschreiben, ist unglaublich poetisch, Daldry.«
    »Machen Sie sich über mich lustig?«
    »Ein wenig, ja.«
    »Die Auslage eines Schuhmachers ist natürlich wesentlich romantischer.«
    »In den Händen dieses Handwerkers liegt eine gewisse Poesie, ich habe Schusterwerkstätten schon immer gemocht, den Geruch von Leder und Leim.«
    »Das kommt daher, dass Sie Schuhe lieben. Ich beispielsweise könnte stundenlang vor der Auslage einer Bäckerei stehen bleiben. Ich muss Ihnen sicher nicht erklären, warum …«
    Wenig später, sie gingen noch immer am Ufer des Bosporus entlang, setzte Daldry sich auf eine Bank.
    »Was beobachten Sie?«, fragte Alice.
    »Die alte Dame dort am Geländer, die mit dem Besitzer des fuchsroten Hundes spricht. Das ist faszinierend.«
    »Sie mag Hunde, was finden Sie daran so faszinierend?«
    »Schauen Sie genau hin, dann werden Sie es verstehen.«
    Nachdem die alte Dame einige Worte mit dem Besitzer des fuchsroten Hundes gewechselt hatte, näherte sie sich einem anderen Hund. Sie beugte sich hinunter und hielt ihm ihre Hand vor die Schnauze.
    »Sehen Sie?«, flüsterte Daldry, während er sich zu Alice neigte.
    »Sie streichelt einen anderen Hund?«
    »Sie verstehen nicht, was sie macht … Nicht der Hund interessiert sie, sondern die Hundeleine.«
    »Die Hundeleine?«
    »Genau, die Leine, die ihn mit seinem Herrchen verbindet, der dort angelt. Sie ist der rote Faden, der es ihr erlaubt, eine Unterhaltung zu beginnen. Diese alte Dame vergeht vor Einsamkeit. Sie hat diese List ersonnen, um ein paar Worte mit anderen Menschen wechseln zu können. Ich bin davon überzeugt, dass sie jeden Tag um die gleiche Zeit hierherkommt, um sich ihre kleine Dosis Menschlichkeit zu holen.«
    Daldry hatte richtig gesehen, doch dieses Mal war es der alten Dame nicht gelungen, die Aufmerksamkeit des Anglers zu erregen, der sich auf den Schwimmer seiner Angel konzentrierte. Sie ging ein paar Schritte weiter, holte Brotkrumen aus ihrer Manteltasche und warf sie einigen Tauben hin, die auf dem Geländer trippelten, an das sich die Angler lehnten. Sehr bald wandte sie sich an einen von ihnen.
    »Eine merkwürdige Einsamkeit, nicht wahr?«, sagte Daldry.
    Alice wandte sich ihm zu und sah ihn aufmerksam an. »Warum sind Sie hierhergekommen, Daldry? Warum haben Sie diese Reise gemacht?«
    »Das wissen Sie doch sehr gut. Wegen unseres Abkommens. Ich helfe

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