Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
Ihnen, den Mann Ihres Lebens zu finden oder bringe Sie zumindest auf seine Spur, und während Sie Ihre Nachforschungen weiterführen, werde ich unter Ihrem Glasdach malen.«
»Ist das wirklich der einzige Grund?«
Daldrys Blick verlor sich in Richtung Üsküdar, als betrachte er das Minarett der Mihrimah-Moschee am asiatischen Ufer des Bosporus.
»Erinnern Sie sich an den Pub am Ende unserer Straße?«, fragte Daldry.
»Wir waren dort frühstücken, natürlich erinnere ich mich.«
»Ich ging jeden Tag dorthin, saß immer am selben Tisch und las meine Zeitung. Eines Tages, als mich der Artikel, den ich las, langweilte, hob ich den Kopf und sah mich im Spiegel. Da bekam ich Angst vor den Jahren, die mir von meinem Leben noch blieben. Auch ich brauchte eine Veränderung. Aber seit ein paar Tagen fehlt mir London. Nichts ist eben perfekt.«
»Denken Sie daran zurückzukehren?«, fragte Alice.
»Vor Kurzem haben auch Sie daran gedacht.«
»Inzwischen nicht mehr.«
»Weil Ihnen die Weissagung dieser Hellseherin glaubwürdiger erscheint, haben Sie nun ein Ziel, und ich habe meine Aufgabe erfüllt. Ich glaube, dass wir in dem Konsul das zweite Glied der Kette gefunden haben, vielleicht sogar das dritte, wenn man bedenkt, dass Can uns zu ihm geführt hat.«
»Haben Sie die Absicht, mich zu verlassen?«
»Das hatten wir vereinbart. Seien Sie unbesorgt, ich bezahle Ihr Hotelzimmer und Cans Dienste für die nächsten drei Monate. Er ist Ihnen treu ergeben. Ich werde ihm zudem einen großzügigen Vorschuss für seine Ausgaben bezahlen. Für Sie werde ich bei der Banco di Roma ein Konto eröffnen, ihre Filiale ist auf der Istiklal-Straße, und die kennen sich mit Auslandsüberweisungen aus. Ich werde Ihnen jede Woche eine bestimmte Summe dorthin überweisen, es wird Ihnen an nichts fehlen.«
»Sie möchten, dass ich drei weitere Monate in Istanbul bleibe?«
»Sie haben noch einen langen Weg vor sich, Alice, um ans Ziel zu gelangen. Und Sie wollten um nichts in der Welt den Frühling in der Türkei versäumen. Denken Sie an die vielen unbekannten Blumen, an ihre Düfte … und ein wenig auch an unser Geschäft.«
»Wann haben Sie den Entschluss gefasst abzureisen?«
»Heute Morgen, beim Aufwachen.«
»Und wenn ich hoffen würde, dass Sie noch ein wenig blieben?«
»Dann müssten Sie mich nicht darum bitten, denn der nächste Flug geht erst am Samstag, sodass wir noch etwas Zeit haben. Machen Sie nicht so ein Gesicht, meine Mutter hat eine labile Gesundheit, und ich kann sie nicht endlos lange allein lassen.«
Daldry erhob sich und trat an das Geländer, wo sich die alte Dame soeben vorsichtig einem großen weißen Hund näherte.
»Passen Sie auf, der beißt«, sagte er im Vorbeigehen zu ihr …
Can kam zur Teestunde ins Hotel. Er schien mit sich sehr zufrieden zu sein.
»Ich kann Ihnen faszinierende Neuigkeiten liefern«, sagte er, als er Alice und Daldry in der Bar traf.
Alice stellte ihre Tasse ab und widmete Can ihre vollständige Aufmerksamkeit.
»In einem Gebäude in der Nähe des Hauses, wo Ihr Vater und Ihre Mutter sich niedergelassen hatten, habe ich einen alten Herrn getroffen, der sie gekannt hat. Er ist damit einverstanden, dass wir ihn aufsuchen.«
»Wann?«, fragte Alice und schaute zu Daldry.
»Jetzt«, antwortete Can.
Kapitel 11
Die Wohnung von Herrn Zemirli nahm die zweite Etage eines bürgerlichen Wohnhauses in der Istiklal-Straße ein. Die Tür öffnete sich auf einen Eingang, in dem sich alte Bücher an sämtlichen Wänden stapelten.
Ogüz Zemirli trug eine Flanellhose, ein weißes Hemd, einen seidenen Morgenrock und zwei Brillen. Eine davon schien wie hingezaubert auf seiner Stirn zu halten, die andere saß auf seiner Nase. Ogüz Zemirli wechselte die Brillen je nachdem, ob er etwas lesen oder in die Ferne schauen wollte. Sein Gesicht war glatt rasiert bis auf ein paar grau melierte Stoppeln an der Kinnspitze, die der Barbier wohl übersehen hatte.
Er ließ seine Gäste im Salon Platz nehmen, der mit französischen und osmanischen Möbeln eingerichtet war, verschwand in der Küche und kam in Begleitung einer beleibten Frau zurück. Sie servierte Tee und orientalisches Gebäck. Herr Zemirli bedankte sich, und die Frau zog sich sofort wieder zurück.
»Das ist meine Köchin«, erklärte er. »Ihr Gebäck ist köstlich, bitte bedienen Sie sich.«
Das ließ sich Daldry nicht zweimal sagen.
»Sie sind also die Tochter von Cömert Eczaci?«, fragte der Mann.
»Nein, Herr Zemirli, mein
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