Die zwei Monde: Roman (German Edition)
erwidern sollte.
»Ich habe etwas für dich, Veronica Meis«, fuhr er nach einer Weile fort.
»Antworten?«, versetzte ich störrisch.
»So könnte man sagen. Wenn du mir die Ehre gewährst, mein Gast zu sein, dann werde ich dir einen Gegenstand übergeben, der sicherlich für dich von Interesse sein wird.«
Ich presste die Zähne zusammen. Das war die zweite Einladung eines Unbekannten in weniger als zwei Tagen. Und diesmal war dieser Unbekannte wesentlich beunruhigender als Ivan … Aber was waren meine Alternativen? Ich verspürte den Impuls, auf die Uhr zu schauen, aber ich ließ es: Ich wusste ohnehin, dass es inzwischen nicht nur spät war, sondern viel zu spät.
Ich seufzte. »Müssen wir weit laufen?«
»Keine fünf Minuten.«
»Gehen wir.«
K apitel 12
Montag, 16. Februar
Z um zweiten Mal in einer Stunde fand ich mich an einem so unbeschreiblichen Ort wieder, dass ich sprachlos war. Der Conte hatte die Wahrheit gesagt: Es dauerte keine fünf Minuten, bis wir an einem altertümlichen, sechsstöckigen Gebäude angekommen waren. Hinter einem Rundbogentor und Säulen aus gemeißeltem Stein erwarteten uns eine mit Teppich ausgelegte Vorhalle und ein unglaublich geräuscharmer Aufzug ganz aus Glas und Stahl, der uns in den obersten Stock brachte. Wir durchquerten einen langen, dunklen Korridor mit Gewölbedecke und landeten in einem unglaublichen Saal.
Die Saaldecke, die über der Tür sehr hoch war, fiel in einer Diagonale zur gegenüberliegenden Wand hin ab, wo man durch eine Reihe von schmalen Fenstern die Turmspitzen des Doms sehen konnte, die jetzt wirklich zum Greifen nah schienen. Wände und Decken waren mit dunklen Holzpaneelen verkleidet, und jeder einzelne Zentimeter des Raums war mit Gegenständen vollgestellt: Sie standen in Regalen, in Wandfächern, in Schränken und auf Tischen, und es waren so viele, dass sie mit einem Blick gar nicht zu erfassen waren.
Eine Regalwand etwa war ausschließlich mit Mineralien und Fossilien gefüllt: Ammoniten, Muscheln, versteinerte Blätter, Bruchstücke von verbogenem Metall, geschliffene Kristalle, die im Licht bunt schillerten. Der Glasschrank gleich daneben beherbergte ein ganzes Heer aus winzigen Skeletten, die von Metall gestellen aufrecht gehalten wurden: Darunter waren fraglos Mäuse, vielleicht auch Frettchen oder Eichhörnchen, aber den Großteil konnte ich nicht zuordnen. Die Eingangstür war umstellt von Regalen, in denen sich Flaschen, Töpfchen, Ampullen und andere seltsam geformte Behälter drängten, viele von ihnen waren mit Etiketten versehen, keines davon in einer mir vertrauten Sprache. Auf einem massiven Tisch in der Mitte des Zimmers thronte ein riesiges vergoldetes Astrolabium, das direkt aus der Zeit Galileis zu kommen schien. Es war umgeben von Kompassen, Stundengläsern und anderen Instrumenten, deren Funktion ich mir nicht einmal vorstellen konnte.
Und überall, inmitten dieses Raritätenkabinetts: Bücher. Jeder freie Zentimeter, selbst zwischen den Fenstern, wurde von Büchern besetzt, Bücher in jeder Form und Dimension, viele von ihnen sichtbar alt.
Das war kein Wohnzimmer: Es war ein Museum, eine Wunderkammer, ein Raum, der in ein Schloss aus dem 19. Jahrhundert gehörte oder auf ein Filmset.
Conte Gorani bahnte sich lässig einen Weg durch das Requisitenlabyrinth, hängte seinen Mantel an einen Kleiderständer, der zwischen einem hohen Kandelaber aus Kupfer und Bronze und einer kleinen Säule mit einer einbalsamierten Schlange obenauf herausragte, und stellte dann zwei Polsterstühle an eins der Fenster. Erst jetzt drehte er sich um, um nach mir zu sehen. Ich stand noch immer auf der Türschwelle.
»Du kannst ruhig hereinkommen, Veronica. Nichts von dem, was sich in diesem Zimmer befindet, wird dir an die Kehle springen, das versichere ich dir.«
Ohne es zu wollen, warf ich einen Blick auf die Schlange auf ihrem Säulensockel, ein Knäuel aus schwarzen Windungen, aus dem sich ein glänzender, unbeweglicher Kopf erhob, das Maul halbgeöffnet und die Fangzähne entblößt. Ihre Glasaugen sahen genauso aus wie die des Bettlers.
Ich bewegte mich auf den Stuhl zu, den der Conte mir angeboten hatte, ohne meinen Blick von der Umgebung lösen zu können. Mit einer Geste lud er mich zum Sitzen ein und ließ sich selbst mir gegenüber nieder. Zwischen uns stand ein niedriges und sehr elegantes Tischchen mit Holzintarsien.
Schließlich fand ich meine Stimme wieder. »Leben Sie wirklich hier?«
»Noch nicht lange.«
»Es ist
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