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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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kein Spiegelbild, das seine Substanz bestätigt, kein Schatten, nur Fußspuren im Neuschnee, die seine Existenzberechtigung bekräftigen, Fußspuren und sein Haß, wie Claude Rains in Der Unsichtbare , nur von Fußspuren und Wut definiert.
    Er sucht hektisch nach einem Eingang in die Kirche und untersucht hastig jedes Fenster, an dem er vorbeikommt.
    Praktisch das gesamte Glas ist aus den hohen Buntglasfenstern verschwunden, aber die Stahlstreben sind erhalten geblieben. Ein Großteil der Bleifassungen, die das ursprüngliche Muster bildeten, sind ebenfalls noch vorhanden, wenn auch an vielen Stellen verbogen und verdreht, durch Wetter oder Vandalismus verwüstet, so daß die Umrisse der ursprünglichen religiösen Symbole und Gestalten nicht mehr zu erkennen sind; an ihrer Stelle erblickt man verzerrte Gestalten, die so sinnlos sind wie die Formen geschmolzener Kerzen.
    Beim vorletzten Fenster des Kirchenschiffs fehlen Stahlstreben, Rahmen und Bleifassungen. Der Granitsims unterhalb des Fensters ist eineinhalb Meter vom Boden entfernt. Er zieht sich behende wie ein Akrobat hinauf und kauert mit den Fersen auf dem tiefen Sims. Er schaut in die zahllosen Schatten, in die seltsame sinusförmige Schnörkel in leuchtendem Orange, Gelb, Grün und Blau eingeflochten sind. Ein Kind schreit.
    Während Paige den Mittelgang der graffitibeschmierten Kirche entlanglief, hatte sie das seltsame Gefühl, als befände sie sich in einem tropischen Klima unter Wasser, unter einer karibischen Bucht, in Höhlen voll fröhlich bunter Korallen, wo sich äquatorialer Seetang auf allen Seiten mit seinen filigranen und leuchtenden Wedeln wellte.
    Charlotte schrie.
    Paige hatte den Altarraum erreicht, jetzt wirbelte sie zum Kirchenschiff herum. Sie schwenkte die Mossberg von links nach rechts, suchte panisch nach der Gefahr und sah den Anderen, als Emily rief: »Auf dem Fenster, erschieß ihn!«
    Tatsächlich kauerte er auf einem Fenster der Südmauer, ein dunkler Schemen, der gegen das düstere Licht und den weißen Schneefall nur halb menschlich aussah. Mit den hängenden Schultern, dem gesenkten Kopf und den baumelnden Armen hatte er etwas Affenartiges.
    Ihre Reflexe funktionierten einwandfrei. Sie feuerte ohne zu zögern mit der Mossberg.
    Aber selbst wenn sich die Entfernung nicht zu seinen Gunsten ausgewirkt hätte, wäre er unversehrt davongekommen, weil er sich in dem Augenblick in Bewegung setzte, als sie abdrückte. Er schien mit der geschmeidigen Anmut eines Wolfs förmlich von der Mauer auf den Boden zu fließen. Die Schrotkörner passierten harmlos die Stelle, wo er sich eben noch befunden hatte, und prallten von dem Fensterrahmen ab.
    Er verschwand auf allen vieren zwischen den Bänken, wo die dunkelsten Schatten in der Kirche herrschten. Wenn sie ihn dorthin verfolgte, würde er sich auf sie stürzen und sie töten.
    Sie ging durch den Altarraum zu Marty und den Mädchen, wobei sie die Schrotflinte schußbereit hielt.
    Die vier zogen sich in einen angrenzenden Raum zurück, bei dem es sich um die Sakristei handeln mochte. Durch zwei Flügelfenster fiel gerade ausreichend Licht herein, daß man drei Türen zusätzlich zu der, durch die sie eingetreten waren, erkennen konnte.
    Paige machte die Tür der Sakristei zu und versuchte, sie abzuschließen. Aber die Tür besaß gar kein Schloß. Und es gab auch keine Möbel, die man davorschieben konnte.
    Marty öffnete eine der Türen. »Wandschrank.«
    Heulender Wind und Schnee wehten zu der Tür herein, die Charlotte öffnete, daher schlug sie sie wieder zu.
    Emily überprüfte die dritte Möglichkeit und sagte: »Treppe.«
    Zwischen den Bänken. Schleichend. Vorsichtig.
    Er hört eine Tür zuschlagen.
    Er wartet.
    Horcht.
    Hunger. Heiße Schmerzen schwellen ab, werden zu geringer Hitze. Die Blutungen werden zu Rinnsalen, einem Tröpfeln. Hunger übermannt ihn, da sein Körper gewaltige Nahrungsmengen verlangt, um die Regenerierung beschädigten Gewebes durchführen zu können.
    Er verbrennt bereits Körperfett und Eiweiß, um die dringendsten Reparaturen an durchtrennten und zerfetzten Blutgefäßen vornehmen zu können. Sein Stoffwechsel beschleunigt gnadenlos, eine vollkommen autonome Funktion, über die er keine Kontrolle hat.
    Die Gabe, die ihn weitaus weniger verwundbar macht als andere Menschen, wird bald ihren Tribut fordern. Sein Gewicht wird abnehmen. Der Hunger wird wachsen, bis er so unerträglich wie die Qualen tödlicher Verletzungen sein wird. Sein Hunger wird zu einem

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