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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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der Sturm bis in die frühen Morgenstunden andauerte, würden sie auch erst nach Anbruch der Dämmerung jemanden mit der Mossberg auf ihre schreckliche Lage aufmerksam machen können. Der heulende Wind würde den Knall eines Schusses verwehen, bevor er jenseits des Kirchengeländes gehört werden konnte.
    Die Plattform maß dreieinhalb Meter, der Boden war gefliest und mit Ablauflöchern für das Regenwasser versehen. Zwei etwa ein Meter achtzig hohe Eckpfosten, die auf der Brüstung standen, stützten zusammen mit der durchgehenden Mauer an der Ostseite ein spitzgiebliges Glockenstuhldach.
    Glocken gab es keine. Als Marty in die dunklen Winkel des konischen Raums hinaufblinzelte, sah er die schwarzen Umrisse von Lautsprechern, mit denen früher Glockenläuten vom Band gespielt worden sein mußte.
    Der Schnee, der mit zunehmender Dunkelheit immer weißer zu werden schien, wurde vom Nordwestwind schräg in den Glockenstuhl geweht. Am Ansatz der Südmauer hatte sich schon eine kleine Schneeverwehung gebildet.
    Die Mädchen waren bereits über die Plattform zur Westseite geflohen, so weit weg von der Tür, wie sie konnten, aber Marty fühlte sich zu schwach, selbst diese Strecke ohne Stütze zu gehen. Als er sich um die Plattform herum zu ihnen schleppte, wobei er sich mit der rechten Hand an der Brüstung abstützte, schienen die Fliesen rutschig zu sein, obwohl ihre Oberfläche bei Nässe nicht so tückisch sein sollte.
    Er machte den Fehler, über den Rand der Brüstung zu der phosphoreszierenden Schneedecke sechs oder sieben Stockwerke tiefer zu sehen. Dieser Anblick löste ein so starkes Schwindelgefühl in ihm aus, daß er fast bewußtlos geworden wäre, ehe er den Blick von dem tiefen Sturz abwandte.
    Als er bei seinen Töchtern ankam, fühlte sich Marty schlechter denn je und zitterte so heftig, daß jeder Versuch zu sprechen verstümmelte Laute hervorgebracht hätte, die nur entfernte Ähnlichkeit mit Worten hätten. Obwohl ihm so kalt war, rann Schweiß an seinem Rücken hinab. Wind heulte, Schnee wirbelte, die Nacht senkte sich herab, und der Glockenturm schien sich wie ein Karussell zu drehen.
    Die Schmerzen in der Schulter hatten sich über den ganzen Oberkörper ausgebreitet, bis die brennende Stelle der Schußwunde lediglich das Zentrum größerer Qualen war, die mit jedem Schlag seines rasend pochenden Herzens pulsierten. Er fühlte sich hilflos, handlungsunfähig, und verfluchte sich, weil er in einer Situation, wo seine Familie ihn dringend brauchte, so nutzlos war.
    Paige war nicht zu Marty und den Mädchen auf die Plattform gekommen. Sie stand auf der anderen Seite vor der Tür, auf dem geschlossenen Treppenabsatz, und sah die Wendeltreppe hinab.
    Flammen züngelten aus der Mündung der Waffe und brachten die Schatten zum Tanzen. Der Knall des Schusses und seine Echos hallten über die Plattform des Glockenturms, und von der Treppe ertönte ein Schrei von Schmerz und Wut, der nichts Menschliches mehr hatte, dicht gefolgt von einem zweiten Schuß und einem noch schrilleren Kreischen.
    Marty schöpfte schlagartig Hoffnung – doch diese brach einen Augenblick später zusammen, als dem gequälten Heulen des Anderen Paiges Aufschrei folgte.
    Die runde Wand entlang, Stufe um Stufe, von Hunger verzehrt, von Feuer erfüllt, der Brennofen des Körpers zur Weißglut aufgeheizt, von Verlangen gequält, nach Geräuschen lauschend, höher, höher, höher in die Dunkelheit, innerlich aufwallend, schäumend, verzweifelt und getrieben, von Gier getrieben, dann das aufragende Ding, das Paige-Ding, über ihm auf dem Absatz, in Schatten gehüllt, aber deutlich zu erkennen, abstoßend und tödlich, eine außerirdische Saat. Er verschränkt die Arme vor dem Gesicht, schützt die Augen, absorbiert den ersten Schuß, tausend schmerzhafte Stacheln, tief hineingehämmert, wird beinahe rückwärts die Treppe hinuntergerissen, schwankt auf den Absätzen, seine Arme vorübergehend gelähmt, blutend und zerfetzt, brennend vor Verlangen, Verlangen, die inneren Schmerzen schlimmer als die äußeren, bewegen-bewegen-herausfordern-kämpfen-und-siegen, er schnellt vorwärts, nach oben, schreit unwillkürlich, der zweite Schuß ein Vorschlaghammer auf die Brust, sein Herz setzt aus, setzt aus, Schwärze senkt sich über ihn, Herz setzt aus, die linke Lunge platzt wie ein Ballon, kein Atem, Blut im Mund. Fleisch reißt, Blut spritzt, Fleisch wächst zusammen, Blut versiegt. Er atmet ein, atmet ein und springt immer noch aufwärts,

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