Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
starken Verlangen werden. Das Verlangen zu einer blinden Gier.
    Er denkt an Rückzug, aber er ist so nahe dran. So nahe. Sie sind auf der Flucht. Isoliert. Sie können nicht gegen ihn durchhalten. Wenn er beharrlich bleibt, sind sie in wenigen Minuten alle tot.
    Außerdem sind sein Haß und seine Wut so groß wie sein Hunger. Er verlangt nach der süßen Befriedigung, die ihm nur extreme Gewalt verschaffen kann.
    Über die Leinwand seines Verstandes flackern nur mörderische Bilder: von Kugeln durchbohrte Schädel, brutal eingeschlagene Gesichter, ausgequetschte Augen, durchschnittene Kehlen, verstümmelte Leiber, blitzende Messer, Äxte, Beile, abgetrennte Gliedmaßen, brennende Frauen, schreiende Kinder, junge Prostituierte mit Würgemalen an den Hälsen, Fleisch, das sich im Säureregen auflöst …
    Er kriecht zwischen den Bänken hervor in den Mittelgang, erhebt sich in eine geduckte Haltung.
    Leuchtende außerirdische Hieroglyphen bedecken die Wände.
    Er befindet sich im Nest des Feindes.
    Fremd und seltsam. Feindselig und nichtmenschlich.
    Seine Angst ist groß. Aber sie entfacht nur seine Wut.
    Er eilt nach vorne, durch den Altarraum, auf die Tür zu, durch die sie geflohen sind.
    Licht so dünn wie Fischwasser fiel von unsichtbaren Fenstern über der Wendeltreppe herein.
    Die Gebäude, die an die Kirche angrenzten, waren zweistöckig. Möglicherweise gab es eine Verbindung zwischen dieser Treppe und einem anderen Gebäude, aber Marty hatte keine Ahnung, wohin sie gingen. Aus diesem Grund wünschte er fast, sie hätten sich für die Tür ins Freie entschieden.
    Die Taubheit in seinem Arm behinderte ihn schwer, und die Schmerzen in der Schulter, die mit jeder Minute schlimmer wurden, zehrten an seinen Energiereserven. Das Gebäude war ungeheizt und so kalt wie die Welt außerhalb, aber wenigstens bot es Schutz vor dem Wind. Bei seinen Verletzungen und dem Sturm hätte er außerhalb der Kirchenmauern wahrscheinlich nicht lange durchgehalten.
    Die Mädchen gingen ihm voraus.
    Paige folgte ihnen und sorgte sich lautstark, weil die Tür am unteren Ende der Treppe, wie die der Sakristei, kein Schloß besaß. Sie tastete sich Stufe für Stufe rückwärts hoch und behielt das Terrain hinter ihnen im Auge.
    Wenig später kamen sie zu dem tiefliegenden Fenster, das die Quelle des schwachen Lichts am Fuß der Treppe bildete. Die klaren Scheiben waren weitgehend unversehrt. Im oberen Abschnitt der Wendeltreppe herrschte ein ähnlich trübes Licht, das wahrscheinlich durch ein anderes Fenster gleicher Größe und Machart einfallen konnte.
    Marty ging immer langsamer und atmete immer keuchender, je höher sie kamen, als würden sie eine Höhe erreichen, wo der Sauerstoffgehalt der Luft drastisch abnahm. Die Schmerzen in seiner linken Schulter nahmen zu, die Übelkeit wurde immer schlimmer.
    Die fleckigen Rauhputzwände, die grauen Holzstufen und das spülwassertrübe Licht erinnerten ihn an deprimierende schwedische Filme der fünfziger und sechziger Jahre, Filme über Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und das grausame Schicksal.
    Anfangs brauchte er den Handlauf an der Außenwand nicht. Aber bald wurde er zu einer notwendigen Stütze. Innerhalb erschreckend kurzer Zeit stellte er fest, daß er sich nicht mehr auf seine zunehmend wackligeren Beine verlassen konnte, sondern sich zusätzlich mit dem unverletzten rechten Arm nach oben ziehen mußte.
    Als sie das zweite Rosettenfenster erreichten und weitere graue Stufen vor ihnen aufwärts führten, wußte er, wo sie sich befanden. Im Glockenturm.
    Die Treppe würde nicht zu einem Durchgang zum ersten Stock eines Nebengebäudes führen, weil sie schon höher als das erste Stockwerk waren. Jede weitere Stufe aufwärts war eine unumkehrbare Entscheidung für diese eine Möglichkeit.
    Marty, der das Geländer mit der unverletzten rechten Hand umklammerte, fühlte sich zunehmend schwindlig und hatte Angst, das Gleichgewicht zu verlieren; er blieb stehen, um Paige zu sagen, daß sie besser umkehren sollten. Wahrscheinlich hatte sie die Tatsache, daß sie rückwärts ging, die wahre Natur dieser Falle übersehen lassen.
    Bevor er den Mund aufmachen konnte, wurde unten, außer Sicht jenseits der ersten Treppenwindungen, die Tür aufgerissen.
    Sein letzter klarer Gedanke ist die plötzliche Erkenntnis, daß er den .38er Chief Special nicht mehr besitzt, er muß ihn verloren haben, als er am Eingang der Kirche angeschossen wurde, muß ihn in den Schnee fallen gelassen haben und hat es

Weitere Kostenlose Bücher