Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Polizist an Türen zu klopfen hatte, ohne zu wissen, was ihn dahinter erwartete: ein Ausländer mit einer Waffe, ein stocksaurer Gangster mit einem Baseballschläger oder ein Pitbull-Terrier an kurzer Leine.
    Er musste mehrmals kräftig an die Tür schlagen, bis jemand herangeschlurft kam und öffnete. Vor Ethan stand ein Mann um die dreißig, ziemlich verwahrlost, der in einer stinkenden Pfeife ein Gras lokaler Herkunft rauchte. Er wirkte mehr tot als lebendig, als ob das Haschisch bereits in kritische Bereiche seines Hirns vorgedrungen sei.
    »Sabah al-khair«
, murmelte er, und dann, kaum hörbar: »Wer, zum Teufel, sind Sie?«
    »Ich bin überhaupt kein Teufel, mein Sohn«, antwortete Ethan. »Ich möchte mit dir einen freundlichen Plausch machen. Dafür solltest du aufwachen, wenn du nicht die Chance deines Lebens verpassen willst. Darf ich reinkommen?«
    Verblüfft versuchte Mr. WAP, Ethan die kaum gehorchende Hand entgegenzustrecken, fuhr aber vorbei und vergrub sie wieder in seiner Hosentasche. Er trat beiseite, um Ethan einzulassen.
    Da ertönte aus dem hinteren Raum eine Frauenstimme.
    »Bob? Was ist da los, verdammt noch mal? Wer ist es denn?«
    Zu Ethans Überraschung war die Frau, die aus dem trüben Büro auftauchte, nicht die verlebte Schlampe, die er erwartet hatte, sondern ein hübsches junges Ding im Burnus und mit Henna-Tattoos auf den Handrücken. Ihr blondes Haar war im Nacken zusammengebunden. Ihre Augen blinzelten fröhlich. Ethan schätzte sie auf höchstens einundzwanzig.
    »Entschuldigung«, sagte sie. »Bin gestern auf einer Hochzeit gewesen. Daher die Tattoos. Gefallen sie Ihnen?«
    Ethan nickte lächelnd. Es war, als liege braune Spitze auf ihren schmalen Händen.
    »Soll ich lieber zu einer günstigeren Zeit wiederkommen?«, fragte Ethan.
    Die Frau schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht bringen wir es besser hinter uns, was? Es ist eine echte Erleichterung, jemandem zu begegnen, der gutes Englisch spricht.« Sie warf Bob über Ethans Kopf hinweg einen Blick zu. Der stand verdattert da und hielt immer noch die Tür fest, als fürchtete er, sie könnte ihm davonlaufen.
    »Bob«, sagte sie, »warum machst du nicht die Tür zu, gehst nach hinten und nimmst noch eine Mütze Schlaf?«
    Bob zögerte vier, fünf Sekunden, fasste dann einen Entschluss und schlurfte zur Tür gegenüber. Sie fiel geräuschvoll hinter ihm ins Schloss.
    »Was kann ich für Sie tun, Fremder?«, fragte sie, offenbar angetan von Ethan, der sich so vorteilhaft von Bob unterschied. »Nehmen Sie doch Platz. Dort drüben, schieben Sie die Bücher einfach beiseite.«
    Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn.
    »Mein Name ist Ethan«, sagte er. »Ethan Taylor.« Ihm fiel ein, dass selbst diese Frau, im Herzen des alten Tripoli vergraben, von ihm und seinen teuflischen Taten gehört haben könnte.
    »Helena«, stellte sie sich vor. »Helena Mayberry. Ich bin Bobs Assistentin. Zumindest hat man mich dafür hierhergeschickt. Bob ist im Moment nicht gut in Form. Er glaubt gerade, Pete Doherty hätte ihm eine Nachricht geschickt. Na schön. Da müssen Sie eben mit mir vorliebnehmen. Ich hoffe, das stört Sie nicht.«
    »Überhaupt nicht.« Helenas Lächeln und Körpersprache sagten ihm, Bob sei bestimmt ein Versager im Bett und sie halte sich für eine englische Rose, die hier unter den Barbaren schmachte und sich danach sehne, einmal richtig hergenommen zu werden. Auch nicht schlecht, dachte Ethan. Er hatte nicht die Absicht, seine Überredungskünste an Bob zu verschwenden.
    Sie redeten über eine Stunde miteinander. Helena zeigte sich verblüfft über Ethans Angebot und noch mehr über sein Anliegen, aber sie war noch relativ neu in der Palästinahilfe und dachte wohl, solche Sachen kämen hier alle Tage vor. Über den Waffenschmuggel nach Gaza und ins Westjordanland wusste sie Bescheid. Der lief nur noch in geringem Maße über den Seeweg. Israelische Kriegsschiffe kamen in der Regel nicht bis hierher, hatten aber die Küste von Gaza fest im Blick. Die Italiener patrouillierten inzwischen an den libyschen Gewässern, um Migranten, die nach Europa wollten, rechtzeitig abzufangen. Daher nahmen die meisten Waffensendungen derzeit den Weg durch die Wüste.
    »Wo sind Sie abgestiegen?«, fragte sie. Sie erzählte ihm, sie habe an der Universität von Bolton poststrukturelle Literatur studiert. Ihr Versuch, zu erklären, was das sei, scheitertedaran, dass sie wohl kaum verstanden hatte, was man ihr dort an Büchern

Weitere Kostenlose Bücher