Die zweite Kreuzigung
Funkgerät justierend, um den Kontakt zu seiner Ausgangsbasis nicht zu verlieren.
Wenn sie tagsüber ihr Lager aufschlugen und alle Motoren abschalteten, dann sank eine Stille auf sie herab, die sie noch nie erlebt hatten. Man glaubte zu hören, wie die Erde sich drehte. Dieses Schweigen war wie der Sand ein Stück Ewigkeit. Sarah hätte ihr ganzes Leben darin verbringen können. Sie glaubte, von ihm gehe eine reinigende Wirkung aus. Von dieser Stille, dieser gewaltigen Leere und von der reinen Luft. Wenn sie atmete, konnte sie spüren, wie die Luft in ihre Lungen drang. Sie wollte darin versinken, dievollkommene Wüstenluft tief in sich spüren, damit sie all den Schmutz und all das Gift beseitigte, das Egon Aehrenthal und seine Männer in ihr zurückgelassen hatten.
Wenn sie lauschte, dann glaubte sie eine überirdische Musik zu hören, einen Sänger mit perfekter Intonation, ein Lied mit vollkommener Harmonie. Das Schweigen wurde für sie ein Code der Wüste selbst, in der ganze Armeen und Heere von Sklaven spurlos verschwinden konnten.
Manchmal schwebte ein einsamer Vogel am Himmel und ließ sich von der warmen Luft treiben. Einmal sah sie einen Turmfalken, dann einen Schwarm Wildenten. An diese Vögel musste sie oft denken, an ihre Freiheit und Beherrschung der Lüfte. Sie sah ihnen zu, wie sie über den Himmel segelten, und fragte sich, woher sie wohl kamen.
Sie fuhren nach Süden bis nach Jalu, einer von Palmen umstandenen Oase, wo sie sich mit Datteln eindeckten. Dann folgten sie der
Palificata,
der alten italienischen Trasse nach Kufra. Hier und da waren am Wegesrand noch Zeichen des Zweiten Weltkrieges zu erkennen – weggeworfene deutsche Benzinkanister, ein verrosteter Panzer, Stacheldrahthindernisse, ein Telegrafenmast – die Trümmer eines Konflikts um einen Landstrich, wo niemand je einen Obstbaum oder Blumen pflanzen würde.
Eines späten Nachmittags begleitete Ethan, nachdem sie erwacht waren, Sarah auf einem Spaziergang. Sie gingen einen langen flachen Graben zwischen zwei hohen Dünen entlang. Im Winter war die Wüste kalt und blasser als sonst, aber je weiter sie nach Süden kamen, desto wärmer wurde es.
Sie hatten nicht viel Gelegenheit, allein miteinander zu sprechen. Wenn sie nicht in den Jeeps fuhren, dann saßen sie an einem Lagerplatz zwischen Mönchen in Lederjacken, während ein Wachposten stets nach Banditen oderAehrenthal Ausschau hielt. Jetzt sprachen die Mönche hinter ihnen im Lager gerade ihr Gebet.
Er blickte sie an. Die Zeit übte ihre heilende Wirkung aus. Aber nach dem, was in dem Haus in Sighisoara geschehen war, konnte er nicht sicher sein, ob sie nicht wieder von Schrecken und Ekel vor sich selbst heimgesucht wurde. Als sie seinen Blick spürte, nahm sie seine Hand.
»Mir geht es gut«, sagte sie. »Was passiert ist …, tut mir leid. Ich habe nicht an dir gezweifelt, das darfst du nicht denken. Ich wollte dich. Ich habe niemals einen Mann so begehrt. Das musst du verstehen.«
»Es ging alles zu schnell. Du musst erst wirklich zu dir kommen. Aehrenthal und diese ganze Horde Männer hast du noch nicht wirklich hinter dir gelassen. Wer weiß, wie lange das dauert, vielleicht Jahre, vielleicht auch dein ganzes Leben.«
»Sag nicht so was«, antwortete sie im Weitergehen. »Du vergisst, dass ich dich liebe. Und dass du mich liebst. Das hat schon viel verändert. Manchmal habe ich Alpträume, in denen sie mich wieder vergewaltigen. Das macht mir Angst, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr. Aber ich habe auch schöne Träume. Die handeln meistens von dir, und manchmal träume ich, dass wir zusammen im Bett liegen.« Sie lächelte.
Er lächelte zurück und nahm sie in den Arm. Sie ließ es geschehen, sank gegen ihn, mit dem Kopf auf seiner Schulter. So standen sie lange, alles vergessend, während sich um sie herum die Nacht über die Wüste senkte, der Mond und strahlende Sterne am wolkenlosen Himmel aufzogen.
Da erklang ein Horn, das sie zurückrief. Es war Zeit, wieder aufzubrechen.
In Kufra hielten sie nur, um ihre Lebensmittel- und Wasservorräte aufzufüllen. Außer dem italienischen Fort, das über der Oase thronte, und dem scharfen Kontrast zwischen den grünen Feldern und dem ockerfarbenen Sand gab es nichts, was sie dort länger gehalten hätte. Gavril wollte nicht, dass man auf die Expedition aufmerksam wurde. Deshalb gingen nur er, Ethan und ihr Führer in den Ort.
Gavril wollte herausfinden, ob Aehrenthal Kufra bereits passiert hatte. Leider
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