Die zweite Kreuzigung
hatte er kein Foto des Österreichers und wusste auch nicht, wie groß seine Begleitung war. Er beauftragte den Führer, nur jene Leute in der Oase zu fragen, die eine Gruppe ausgestattet haben konnten, die weiter westlich nach Rebiana und zum Großen Sand dahinter ziehen wollte. Niemand wusste etwas, zumindest wurde das behauptet. Ethan stieß auf ein paar Touristen, die Englisch sprachen. Einer konnte ein Deutscher, der andere ein Schotte sein. Er trat zu ihnen, als sie um einen Kanister Benzin feilschten.
»Ich habe Sie Englisch sprechen hören«, sagte Ethan. Sie hatten ein hübsches Mädchen dabei. Sie lächelte ihm zu und wandte dann den Blick ab.
Der Schotte in Thermoweste und fleckiger blauer Latzhose, den Ethan auf etwa fünfundzwanzig Jahre schätzte, antwortete.
»Verpiss dich. Wir brauchen dein verdammtes Hasch nicht. Wir haben mehr, als wir selber rauchen können.«
»Wie ihr meint«, gab Ethan zurück. »Aber im Ernst, wie lange seid ihr schon in Kufra?«
»Was bist denn du für einer? Wenn du ein Bulle bist – das hier ist nicht dein Land.«
»Deins auch nicht, Kumpel.« Ethan trat dicht an ihnheran. Solche Typen kannte er zur Genüge, seit dem ersten Tag, da er Polizist wurde.
»Hör mal zu, Kleiner«, sagte er. »Hör sehr genau zu. Wenn du höflich mit mir redest und mir die Wahrheit sagst, dann kommst du auf deinen beiden verdammten Beinen ungeschoren aus Kufra raus. Das Gleiche gilt für alle von euch. Ich habe ein paar Jeeps da draußen stehen, da sitzen Männer mit Waffen drin. Glaub mir, die fackeln nicht lange, wenn ihr mir hier auf der Nase rumtanzt.«
Der »Kleine« lief vor Wut rot an, aber das dauerte nur einige Sekunden. Dann schmolz er wie Butter in der Sonne. Ohne ein Wort schlurfte er zu dem Mädchen. Das wandte sich von ihm ab und redete mit einem anderen aus der Gruppe. Nun sprach Ethan den Mann an, den er für einen Deutschen hielt.
»Ich möchte wissen, ob Sie eine ähnliche Truppe wie unsere gesehen haben. Eine Expedition, die tiefer in die Wüste zieht. Alles Männer. Harte Kerle. Ihr Anführer ist ein hochgewachsener Mann mit einer Narbe auf der Wange.«
»So einen habe ich gesehen. Er sprach Deutsch, deshalb ist er mir aufgefallen. Ist Ihr Mann Deutscher?«
»Österreicher.«
»Genau. Das war der Akzent.«
»Wohin sind sie gezogen?«
Der Deutsche machte eine ausladende Geste nach Westen.
»Irgendwo dorthin«, sagte er.
»Wie lange ist das her?«
»Vielleicht zwei Tage. Ja, zwei Tage, ganz sicher. Und Sie haben recht, das waren wirklich harte Kerle.«
SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Das Meer aus Sand
Es war noch nicht alles verloren. Nur weil Aehrenthal bereits in der Wüste nach Wardabaha suchte, bestand kein Grund anzunehmen, dass er es unbedingt vor ihnen finden musste. Dort, wohin er zog, gab es keine Wege, nur endlosen Sand, der vom Wind zu hohen Dünen aufgetürmt wurde. Ein Navigationsfehler, eine falsche Intuition konnten einen Wagen weit vom Ziel abbringen, wenn er einen Dünenkamm nicht bewältigte und gezwungen war, so lange zwischen diesen Sandbergen vorwärtszurollen, bis sich eine Lücke fand, durch die er zu schlüpfen vermochte. Und auch dann waren unter Umständen noch viele Umwege notwendig, bis man die ursprüngliche Richtung wiedergefunden hatte.
Ethan unterhielt sich mit ihrem Führer, einem jungen Araber aus Tripoli, der in Kufra geboren und aufgewachsen war und die Wüste gut kannte. Er hieß Ayyub. Er war groß, sah gut aus und betrachtete alles Neue mit weit aufgerissenen grünen Augen. Er sprach gut Englisch, wenn auch mit einem starken Akzent. Ethan fragte ihn, ob es eine besondere Trasse gebe, die andere Führer vielleicht kennen könnten. Ayyub schüttelte den Kopf.
»Hier gibt es keine Trassen«, sagte er. »Die Wüste ist ein Meer, ein Meer aus Sand,
bahr ramal
.«
Ethan ließ sich nicht beirren.
»Selbst auf dem Meer gibt es Fahrtrouten. Sie umgehen starke Strömungen oder Untiefen. Hier sind das die Dünen, manche hoch wie Berge.«
»Die Dünen wandern. Wenn der Wind bläst, dann setzt er sie in Bewegung. Er bläst so lange, bis nichts mehr ist, wo noch eben etwas war, und etwas ist, wo vorher nichts war.«
Er schaute in die Richtung, wo die Sonne gerade hinter den Dünen im Westen unterging, um später in den Wellen des Atlantik zu versinken.
»Eines Tages wird selbst diese Wüste verschwunden sein, die Sonne wird austrocknen, schrumpeln und ganz schwarz werden.«
Ethan wusste nicht, ob er darüber lächeln
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