Die zweite Stufe der Einsamkeit
werden.“ Ich nickte.
Als mein Schiff abhob, fragte ich mich, warum ich Shkea verließ.
Vielleicht, um nach Hause zurückzukehren. Wir haben ein Haus auf Baldur, weit weg von den Städten, auf einem der unerschlossenen Kontinente, wo man nur die Wildnis als Nachbarn hat. Es steht auf einer Klippe, über einem hohen Wasserfall, dessen Wasser endlos hinunterstürzen – in einen schattigen, grünen Teich. Lya und ich sind dort in den sonnenhellen Tagen zwischen den Aufträgen oft geschwommen. Und danach haben wir uns nackt in den Schatten des Orangewurzbaumes gelegt und uns dann auf einem Teppich aus Silbermoos geliebt. Vielleicht will ich zu alldem zurückkehren. Aber es wird nicht mehr das gleiche sein, ohne Lya, verlorene Lya …
Lya, die ich noch immer zurückhaben könnte. Die ich jetzt gleich zurückhaben könnte. Es wäre einfach, so einfach. Ein gemächlicher Spaziergang in eine dunkle Höhle, ein kurzer Schlaf. Dann mit Lya vereint bis in alle Ewigkeit. Sie würde in mir sein, mich mit mir teilen, sie würde ich sein und ich sie. Wir würden uns lieben und mehr voneinander wissen, als Menschen jemals voneinander wissen können. Vereinigung und Glückseligkeit und keine Dunkelheit mehr, nie mehr. Gott. Wenn ich das alles glaubte, was ich Valcarenghi erzählt hatte – warum hatte ich dann Lya eine Absage erteilt?
Vielleicht, weil ich nicht sicher bin. Vielleicht, weil ich noch immer hoffe; auf etwas, das noch größer und noch liebenswerter ist als die Vereinigung, auf den Gott, von dem sie mir vor so langer Zeit erzählt haben. Vielleicht gehe ich ein Risiko ein, weil ein Teil von mir noch immer glaubt. Aber wenn ich mich irre … dann lauert die Dunkelheit auf mich, die Dunkelheit und die Ebene …
Aber vielleicht ist es irgend etwas anderes, irgend etwas, das ich in Valcarenghi gesehen habe, etwas, das mich an dem, was ich gesagt habe, hat zweifeln lassen. Denn die Menschen sind irgendwie anders als die Shkeen; es gibt Menschen wie Lya und Gustaffson, aber auch solche wie Dino und Gourlay, Menschen, die sich vor Liebe und Einssein genausosehr fürchten, wie sie sich danach verzehren. Ein Zwiespalt also. Der Mensch hat zwei Ursehnsüchte, und die Shkeen haben nur eine. Wenn das so ist, vielleicht gibt es dann eine menschliche Lösung, sich hinzugeben und ineinander aufzugehen und nicht mehr allein zu sein – und doch Menschen zu bleiben.
Ich beneide Valcarenghi nicht. Er weint hinter seiner Mauer, denke ich, und niemand weiß es, nicht einmal er selbst. Und niemand wird es je erfahren, und am Ende wird er für immer in lächelnder Qual allein sein. Nein, ich beneide Valcarenghi nicht.
Dennoch ist etwas von ihm in mir, Lya, genauso wie von dir. Und das ist der Grund, warum ich davongelaufen bin, obwohl ich dich geliebt habe.
Laurie Blackburn war mit mir auf dem Schiff. Nach dem Start haben wir gemeinsam gegessen, und wir haben den Abend damit verbracht, miteinander zu reden und Wein zu trinken. Vielleicht war es keine fröhliche Unterhaltung, aber eine menschliche. Beide brauchten wir jemanden, und wir streckten uns und tasteten in der Dunkelheit umher …
Später nahm ich sie mit in meine Kabine; ich habe mit ihr geschlafen, ich habe sie mit einer so verzweifelten Wildheit genommen, wie ich nur konnte. Dann, als die Dunkelheit milder wurde, hielten wir einander fest und redeten, bis die Nacht vergangen war.
Chicago
Januar-Februar 1973
Nachwort
George R. R. Martin wurde 1948 in Bayonne/New Jersey geboren. Nach der High School studierte er auf der North Western University in Illinois Journalismus. In der Folge arbeitete er kurzfristig bei verschiedenen Zeitungen mit und war zwei Jahre lang freiwilliger Mitarbeiter der VISTA, einer sozialen Hilfsorganisation. Seine ersten schriftstellerischen Versuche reichen noch in die Zeit zurück, als er die High School besuchte. Damals schrieb er für ein Comic-Fanmagazin. Ende der sechziger Jahre begann er dieses Talent wiederzubeleben. So entstand 1969 seine erste Story, die in diesem Buch enthaltene Geschichte The Hero. Sie wurde 1971 in dem Magazin Galaxy abgedruckt. Zielstrebig arbeitete Martin daran, sich als freiberuflicher Autor zu etablieren. In den folgenden Jahren erschienen zahlreiche Stories in verschiedenen Magazinen und Anthologien, und bald galt der junge Autor bei Lesern und Kritikern als eines der bemerkenswertesten Talente unter den neu zur Science Fiction gestoßenen Autoren. Martins Stories fanden bei Lesern und
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