Die zweite Stufe der Einsamkeit
Gesichtszüge waren eindeutig erkennbar. Ein älterer Shkeen, runzelig und mit großen Augen, die jetzt jedoch geschlossen waren. Aber er lächelte. Er lächelte.
Ich trat näher. Etwas tiefer und rechts ragten noch ein paar Fingerspitzen aus der Masse heraus. Aber das war alles. Der Rest des Körpers war bereits vergangen, in dem Greeshka versunken, aufgelöst oder in Auflösung begriffen. Der alte Shkeen war tot, und der Parasit verdaute seinen Leichnam.
„Jeder einzelne dieser dunklen Flecken bedeutet eine erst vor kurzem erfolgte Vereinigung“, sagte Valcarenghi und bewegte den Lichtstrahl hierhin und dorthin. „Die Flecken verblassen mit der Zeit natürlich. Der Greeshka wächst unaufhörlich. In hundert Jahren wird er diese Höhlenkammer ausfüllen und in den Gang hinauswuchern.“
Dann war da plötzlich das Rascheln einer Bewegung hinter uns. Ich sah zurück. Irgend jemand kam durch das Netzwerk.
Sie erreichte uns bald, und sie lächelte. Eine Shkeen-Frau, nackt, mit Brüsten, die schlaff hinunterhingen. Gebunden; natürlich. Ihr Greeshka bedeckte den Großteil ihres Kopfes und hing noch weiter herunter als ihre Brüste. Er war noch hell und durchsichtig von der Zeit, die er in der Sonne verbracht hatte. Man konnte durch ihn hindurchsehen, auf die Stelle, wo er ihr die Haut vom Rücken fraß.
„Eine Kandidatin für die Letzte Vereinigung“, sagte Gourlay.
„Dies hier ist eine beliebte Höhle“, fügte Valcarenghi mit leiser, sardonischer Stimme hinzu.
Die Frau sprach uns nicht an und wir sie auch nicht. Lächelnd ging sie an uns vorbei. Und legte sich auf den Greeshka.
Der kleine Greeshka, jener, der auf ihrem Rücken saß, schien sich im Augenblick des Kontakts aufzulösen; er verschmolz mit der großen Höhlenkreatur, so daß die Shkeen-Frau und der große Greeshka miteinander verbunden waren. Danach – nichts. Sie schloß einfach die Augen und lag friedlich da, schien eingeschlafen zu sein.
„Was passiert?“ fragte ich.
„Vereinigung“, sagte Valcarenghi. „Es dauert eine Stunde, bis Sie irgendeine Veränderung feststellen können, aber der Greeshka macht sich bereits jetzt daran, sich um sie herum zu schließen, sie zu verschlucken. Eine Reaktion auf ihre Körperwärme, wurde mir erzählt. In einem Tag wird sie darin begraben sein. In zwei Tagen – wie der …“ Der Lichtkegel blitzte zu dem halb aufgelösten Gesicht über uns hinauf.
„Können Sie sie lesen?“ schlug Gourlay vor. „Vielleicht erfahren wir auf diese Art etwas.“
„Also gut“, sagte ich, abgestoßen, aber neugierig. Ich öffnete mich. Und der Gedankensturm peitschte in mich hinein.
Aber es war falsch, es einen Gedankensturm zu nennen. Es war ungeheuerlich und gewaltig intensiv, brennend und blendend und atemberaubend. Aber es war auch friedfertig und sanft, mit einer Sanftheit, die stärker war als menschlicher Haß. Es schrie – sanfte Schreie und sirenenhafte Rufe –, und es flutete in gewaltigen, blutroten Brechern über mich hinweg, Wogen der Leidenschaft, und ich wurde davon angezogen. Es füllte mich aus, und es saugte mich leer – gleichzeitig. Und ich hörte ihre Glocken – irgendwo –, ihren herben, bronzenen Klang, einen Gesang von Liebe und Hingabe und Einssein, von Vereinigung und Einheit, und das Versprechen, niemals mehr allein zu sein.
Sturm, Gedankensturm, ja, das war es. Aber es hatte mit einem gewöhnlichen Gedankensturm soviel gemein wie eine Supernova mit einem Hurrikan, und seine Gewalt war die Gewalt der Liebe. Er liebte mich, dieser Gedankensturm, und er wollte mich, und seine Glocken riefen nach mir und sangen seine Liebe, und ich griff hinaus, warf mich vorwärts, stürzte mich hinein, wollte bei ihm sein, wollte mit ihm vereint sein, wollte nie wieder allein sein. Und plötzlich wurde ich wieder auf dem Kamm einer gewaltigen Woge davongetragen, einer Flutwelle aus Feuer, die bis in alle Ewigkeit durch die Sterne toste, und dieses Mal wußte ich, daß diese Welle niemals brechen würde, dieses Mal würde ich danach nicht allein sein auf dunklem Felde.
Aber bei dieser Phrase mußte ich an Lya denken.
Und plötzlich kämpfte ich, kämpfte, wehrte mich gegen diese See aus alles verschlingender Liebe. Ich rannte, rannte, rannte, RANNTE … und schlug meine Geisttür zu, hämmerte den Riegel vor und ließ den Orkan heulen und daran rütteln, während ich mich mit aller noch verbliebenen Kraft dagegen stemmte. Aber die Tür begann sich durchzuwölben – und barst.
Ich schrie.
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