Die zweite Wirklichkeit
bewußt war ihm das erst geworden, als er sich nach ihrer »Flucht« aus der Stadt, die seit Jahrhunderten unter der Knute eines entarteten, möglicherweise auch wahnsinnig gewordenen Vampirs gestanden hatte, an Liliths Seite zur Ruhe gelegt hatte. Nur allzu bereit hatte er sich, nachdem er die mitgeführten Krumen seines Heimatbodens auf seinem Lager verstreut hatte, in jene Schwärze sinken lassen, die frische Kräfte verhieß.
Als Hidden Moon nun seine Augen öffnete, sah er nur im allerersten Moment die kahlen Wände des billigen Motelzimmers, in dem sie sich vor Stunden niedergelegt hatten; zu erschöpft, selbst um einander noch das Einschlafen zu versüßen. Sofort hellwach, wandte der Arapaho gleich den Kopf zur Seite, um sie anzusehen.
Lilith Eden. Die ihm in kurzer Zeit mehr als nur Gefährtin geworden war. Und die zugleich sein seit Jahrhunderten gemächlich wie der mächtige Missouri dahinfließendes Leben in einen reißenden Fluß verwandelt hatte, dessen Stromschnellen nur allmählich wieder ausliefen.
Mit geschlossenen Augen lag sie neben ihm auf dem einfachen Bett. Mochte sein, daß sie zwischenzeitlich einmal wach gewesen war. Denn er war sicher, daß sie seine Art von Schlaf nicht teilte, weil sie darin nicht das Gleiche fand wie er.
Lilith brauchte anderes, um ihre Kräfte aufzufrischen.
Vampirblut.
Schwarz wie das seine .
Eigentlich hätten sie Feinde sein müssen. Doch das Schicksal hatte es anders gewollt und sie aneinandergekettet, zu einer Symbiose gezwungen, um deren Beschaffenheit zumindest Hidden Moon wußte. Ob Lilith es auch schon erkannt hatte, war ihm nicht ganz klar. Sicher aber ahnte sie, weshalb er ihr Nähe brauchte.
Seine Gedanken wanderten zurück, tief hinein in die Vergangenheit, hin zu jener Nacht, in welcher der Hüter des Lilienkelchs den Stamm Hidden Moons, dessen indianischer Name Wyando lautete, in der Neuen Welt aufgesucht - oder heimgesucht hatte. 6
Einen von ihnen, Makootemane, hatte der Hüter, von dem Wyan-do heute wußte, daß sein Name Landru war, sein eigenes schwarzes Blut aus dem Kelch trinken lassen. Makootemane war daran gestorben, aber er war zurückgekehrt aus den Ewigen Jagdgründen - nunmehr selbst mit nachtfarbenem Blut in den Adern. Davon hatte er dann seinerseits in den Kelch gegeben, und dreizehn vom Hüter auserkorene Kinder des Stammes hatten den dunklen Trunk nehmen müssen, um hernach das Schicksal ihres Blutvaters Makoo-temane zu teilen.
Der aber hatte heimlich ein klein wenig von dem schwarzen Blut abgezweigt und dem Totemtier des Stammes, einem Adler, davon zu trinken gegeben.
In der Folge hatten sich die Arapaho-Vampire anders entwickelt, als es ihnen eigentlich vorbestimmt gewesen wäre.
Makootemane hatte es als erster erkannt. Er schaffte es, den dunklen Trieben in sich zu widerstehen - weil der Stammesadler alles Böse aus ihm herauszufiltern vermochte. Und so hatte Makoo-temane den Angehörigen seiner Sippe aufgetragen, sich ebenfalls mit Adlern zu verbinden, auf daß die reinen Tierseelen alles Dunkle aus ihren vampirischen Herrn absorbierten.
So hatte es sich ergeben, daß die Arapaho nicht blutgierig umherzogen, sondern in Symbiose mit ihren menschlich gebliebenen Brüdern und Schwestern leben konnten. In der Nähe ihres Heimatdorfes gründeten diese die Stadt New Jericho, und seit unendlich vielen Jahren versorgten ihre Bürger die Vampire mit dem, was sie zum Existieren brauchten. Und die Blutsauger nahmen ihren »Spendern« immer nur soviel von dem Elixier, wie sie unbedingt benötigten.
So war es gewesen, bis die Seuche, die die Vampirsippen überall auf der Welt dahinraffte und nur deren Oberhäupter verschonte, auch nach den Arapaho griff. Der Untergang hatte drohend auch über ihrem Stamm gehangen, doch gemeinsam war es Makootema-ne, Wyando und Lilith gelungen, das Ende abzuwenden. Der Alte hatte für das Überleben seiner Kinder mit dem Tod bezahlt, und Li-lith hatte in den Wirren der Ereignisse, selbst unter dem Einfluß des Keimes stehend, Wyandos Totemadler getötet. Seine Versuche, sich ein neues Tier heranzuziehen, waren gescheitert. Und schließlich hatte er herausgefunden, weshalb es ihm nicht möglich gewesen war - weil er längst einen neuen »Seelenverwandten« gefunden hatte.
Oder besser: eine »Seelenverwandte«.
Als Lilith den Adler umgebracht hatte, mußte das, was ihn mit seinem indianischen Herrn verband, auf sie übergegangen sein. Beweis dafür war die Tatsache, daß Lilith seither den Seelennamen
Weitere Kostenlose Bücher