Die zweite Wirklichkeit
Verhöhnung aller Geistlichkeit. Das Kreuz, das er um den Hals trug, hing verkehrt herum. Und das »Weihwasser«, das er aus einem Gefäß in dem zweifelsohne unterirdischen Gewölbe versprengte, zischte auf, wenn es Wände und Boden berührte - wie Säure. Und es stank nach - Schwefel?
»Hör auf, dich dagegen zu wehren!« sagte der Mann in der Souta-ne. Dunkler (?) Schweiß perlte auf seiner Stirn. »Es schadet dir nur. Sprich, Lilith Eden, sprich!«
Lilith versuchte einem der umherspritzenden Tropfen auszuweichen. Erst jetzt, da es ihr nicht gelang, merkte sie, daß sie lang ausgestreckt auf einer derben Holzbank lag, Arme und Beine mit Eisenbändern gefesselt, und auch um ihren Hals schloß sich ein metallener Ring, den eine Kette mit der hölzernen Unterlage verband.
Wie damals .?
Sie kannte die Situation, hatte sie schon einmal erlebt und war ihr entronnen! 4
Und doch war es diesmal anders - falsch, unmöglich!
Der Säuretropfen traf sie an der Hüfte, und beißender Schmerz lief wie in ringförmiger Wellenbewegung durch ihren ganzen Körper. Schwach nahm sie den Geruch verbrannten Fleisches war.
»Ich werde herausfinden, was du bist«, sprach der »Pater« weiter.
Lorrimer...
Der Name wehte aus finsterer Tiefe herauf und durch Liliths erschüttertes Bewußtsein. War es ein Name? Egal, was zählte es schon?
»Ich weiß es selbst nicht«, flehte Lilith.
»Du täuschst mich nicht«, zischte »Lorrimer«. »Ich werde dich erlösen von deinem Geheimnis, glaube mir.«
»Was - haben Sie vor?« fragte Lilith. Worte und Stimme schienen ihr gleichermaßen lange verklungen - wie alles, was hier geschah. Auf unbegreifliche Weise anders als damals, doch beinahe identisch ...
»Hammer und Pflock.«
Wie hingezaubert erschien beides in seinen Händen. »Lorrimer« trat zu ihr, setzte das zugespitzte Holz auf ihre Brust. Er schien zu schaudern. Vor Wonne .
Ein animalisches Funkeln trat in seine Augen. Die Faust mit dem Hammer hob sich. Fuhr nieder.
Wie damals . ..
Und auch, was im gleichen Augenblick geschah, war wie damals .
Der Hammer erreichte nicht das stumpfe Ende des Pflocks.
Der Pater wurde von hinten angefallen.
»Lorrimer« schrie auf, taumelte nach hinten weg. Er ließ Hammer und Pfahl fahren, griff mit beiden Händen nach seinem Kopf, als müßte er etwas von seinem Gesicht zerren, das sich unsichtbar darüber gelegt hatte. Sein Kampf war bizarr. Und er unterlag.
Lilith konnte sehen, wie sich der Teil seines Gesichtes ab der Höhe der Augen veränderte. Blut schien dort aus jeder Pore seiner Haut zu quellen, und auch die Augenhöhlen selbst füllten sich mit Röte.
Dann bedeckte »Lorrimer« sein Gesicht mit den Händen, so daß sie nicht weiterverfolgen konnte, was geschah. Sie war einerseits auch nicht erpicht darauf, wenngleich das quellende Rot .
Angewidert von sich selbst wandte sie den Blick ab. Sah hin zur Wand, die - - plötzlich nicht mehr kahl und kalt war, sondern weiß und strukturiert ... wie die Wand ihres Zimmers!
Hastig riß sie den Kopf herum, sah dorthin, wo »Lorrimer« gerade noch ... gewesen war! Jetzt saß Brian Secada auf ihrer Bettkante. Mit jenem Gesicht, das sie von Kindesbeinen an kannte.
»Möchtest du mir erzählen, was dich bedrückt, Lilith?« fragte er mit seiner ruhigen, sanften Stimme.
Sie wollte nicken, antworten. Doch sie spie ihm ganz andere Worte entgegen:
»Fick mich, Brian!«
*
»Was dauert da nur so lange?« fragte Creanna besorgt.
Sean legte seinen Arm um sie, zog sie an sich, wollte sich mit ihr in die Polster der Couch zurücksinken lassen. Doch sie saß wie verstei-nert da.
»Vielleicht hypnotisiert er Lilith«, meinte er. »So etwas kann sehr lange dauern.«
»Ich weiß nicht. Wir hätten Doc Brown benachrichtigen sollen. Er kennt Lilith seit ihrer Geburt ...«
»Das tut Brian auch«, wandte ihr Mann ein.
»Aber er ist kein Arzt, er ist ...«, Creanna stockte.
»Ein Spinner?«
»Nein«, lächelte sie. »Du weißt, daß ich Brian mag, und ich finde interessant, womit er sich beschäftigt. Ich glaube ja selbst, daß es mehr Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Aber .«
»Aber?«
»Er ist kein Arzt«, wiederholte Creanna.
»Ich glaube nicht, daß unserer Tochter körperlich etwas fehlt. Um ihr zu helfen, scheint mir Brian nicht die falscheste Wahl«, sagte Sean. »Er .«
Draußen wurden Schritte auf der Treppe laut. Creanna erhob sich, ging hinaus, Sean folgte ihr.
Brian Secada stürmte
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