Die Zweitfrau
furchtbar. Ich heule, wie ich schon lange nicht mehr geheult habe. Und die ganze Zeit über habe ich Peters Stimme im Ohr, wie zuversichtlich er geklungen hat. Er ist ganz sicher, dass die Krankheit zu heilen ist. Ich rufe mitten in der Nacht meine Freundin an, heule ins Telefon, erzähle, was ich gerade herausgefunden habe, jammere. Sie selbst ist ebenfalls entsetzt, mahnt mich aber, dass ich nicht gleich die Flinte ins Korn werfen soll. Aber ich weiß es besser. Peters Tage sind gezählt, das ist für mich völlig klar.
Was soll ich nun tun? Soll ich warten, bis er selber drauf kommt, oder bis ein Arzt ihm die Wahrheit sagen wird? Nein, das will ich auf keinen Fall. Wir sind immer ehrlich miteinander umgegangen. Jetzt will ich nicht aus Feigheit schweigen oder abwarten. Am kommenden Tag werde ich ihn nicht besuchen, denn die Familie hat mittlerweile einen „Besuchsplan“ erstellt. Damit habe ich immer wieder mal einen Tag frei, brauche nicht in die Klinik, sondern werde von anderen abgelöst. Ich habe also Zeit, mich auf meinen Besuch vorzubereiten. Als Peter am Spätnachmittag bei mir anruft merkt er sofort, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist.
„Was ist denn los mit dir? Du hörst dich so seltsam an. Ist etwas geschehen?“, werde ich von ihm gefragt.
Erst nach einem kurzen Moment kann ich antworten:
„Ja, es ist etwas los, aber ich möchte dir das nicht am Telefon sagen. Ich komme ja morgen zu dir und dann reden wir.“
Ich habe in der Zwischenzeit noch jede Menge Leute informiert, mir meinen Kummer von der Seele geweint. Geredet mit jedem, der uns und unsere Geschichte kennt. Jeden, der miterlebt hat, wie lange wir aufeinander gewartet haben. Jeder ist entsetzt, jeder sucht nach Trost. Jeder sieht ein, dass es eigentlich keinen Trost gibt.
Am nächsten Tag mache ich mich bangen Herzens auf den Weg. Ich habe Angst, will so gerne stark sein und weiß doch schon, dass mir das nicht gelingen wird. Als ich in der Klinik ankomme, vergeude ich keine Zeit mehr. Ich dränge Peter aus dem Bett, damit wir ins Café der Klinik gehen können. Dort suchen wir uns, nachdem wir uns Kaffee und Kuchen geholt haben, ein ruhiges Plätzchen. Er nimmt meine Hand:
„Nun rede, was ist los? Du siehst ja ganz furchtbar aus. Irgendetwas bedrückt dich und ich will nun wissen, was das ist.“
Ich schlucke schwer, finde nicht die richtigen Worte, suche danach und antworte:
„Früher war es üblich demjenigen, der eine schlechte Nachricht überbrachte, den Kopf abzuschlagen.“
„Ich kann dir versichern, dass ich das nicht tun werde“, antwortet mir Peter darauf.
Und schon fange ich an zu weinen. Ich erzähle, was ich alles herausgefunden habe über diese Krankheit. Peter wird ganz blass, je mehr ich erzähle. Er streichelt meine Hand, drückt sie, hört zu, stellt Fragen. Es ist ein schwerer Schlag für ihn, das sehe ich genau, obwohl ich kaum noch in der Lage bin, irgendetwas zu sehen. Als ich alles gesagt habe, ist es lange still zwischen uns. Ich habe etwas Zeit mich zu beruhigen, meine Tränen zu trocknen. Und dann sagt Peter plötzlich:
„Na ja, schön ist das alles nicht. Aber wir wissen ja alle, dass wir hier nur eine bestimmte Zeit sind, dass wir diese Welt irgendwann verlassen müssen. Es tut mir so leid für dich.“
Ich tue ihm leid!! Unfassbar für mich. Und dann fügt er hinzu:
„Du schaffst das, du bist stark. Schlimmer wäre es, du wärst krank. Ich bin nicht so stark wie du. Und nun werden wir einfach mal sehen, wie es weiter geht. Ich werde kämpfen, auf jeden Fall kämpfen. Um jeden Tag. Ich gebe nicht so leicht auf. Wir spielen auf Zeit.“
Als ich die Klinik verlasse, fühle ich mich wie ausgelaugt. Ein klein wenig neben mir, nicht ganz da. Und trotzdem fühle ich mich auch irgendwie erleichtert, weil ich diese Last, das Wissen, nicht mehr länger alleine mit mir herumtragen muss. Sicher, ich habe mit vielen Menschen gesprochen, aber wichtig ist ja eigentlich nur Peter. Es geht um ihn und um mich. Wir müssen lernen, mit diesem Wissen, mit dieser Krankheit zu leben.
Damit beginnt das Warten. Wir warten, dass der Chefarzt mit Peter spricht, wie es weitergehen soll. Wir warten auf neue Befunde. Wir warten nur noch. Die Tage ziehen sich zäh dahin. Und jeden Tag die Hoffnung, heute wird sich nun endlich etwas tun. Nichts geschieht. Eine weitere Woche zieht dahin. Oh ja, es wird weiter untersucht, das schon, aber wir tappen immer noch im Dunkeln.
Endlich kommt der Tag der Chefarztvisite. Bei
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