Die Zweitfrau
Röntgenbilder schon angesehen und seine erste Frage ist:
„Haben sie früher mit Asbest gearbeitet?“
Peter bejaht das und der Arzt sagt:
„Dann müssen wir hier unbedingt nachsehen, das sieht nicht gut aus“, während er auf die kleinen Flecken, die mir am Abend zuvor aufgefallen sind, deutet.
Wir werden hinausgeschickt, denn Peter soll sofort bleiben, damit einige Untersuchungen gemacht werden können. Ich gehe zu unserem Auto und hole den kleinen Koffer, den wir vorsichtshalber gepackt und mitgebracht haben. Dann sitzen wir gemeinsam draußen vor dem Sekretariat und warten. Peter ist völlig niedergeschlagen, blickt nur still vor sich hin.
Ich zupfe ihn am Arm und meine: „Hör mal, man kann auch mit einem Lungenflügel noch sehr gut leben. Das ist für den Körper kein Problem.“
Er schaut mich dankbar an, aber ich merke gut, dass er mir nicht so richtig glaubt. Ich bin in gar keiner Weise beunruhigt. Krebs bedeutet nicht automatisch das Ende. Ich habe festgestellt, dass es immer um Zeit geht bei dieser Krankheit. Man muss einfach schneller sein, als der Krebs und ich bin guter Dinge, dass wir schnell genug da sind. Diese Flecken sind ganz, ganz klein. So bin ich überzeugt. Als er sein Zimmer zugewiesen bekommt und wir alles eingeräumt haben, verlasse ich ihn. Er verspricht mir, mich anzurufen, wenn er sein Telefon hat. Zunächst muss er warten, es sollen noch am selben Tag Untersuchungen vorgenommen werden.
Die Untersuchungen ziehen sich hin. Jeden Tag, wenn ich Peter besuchen gehe, hoffe ich, dass sich irgendetwas ergeben hat. Dass ein wenig Klarheit in die Situation gekommen sei. Aber nichts, gar nichts. Natürlich, man hat gleich am nächsten Tag punktiert, aber da Peter bis dahin mit dem Atmen keine Probleme hatte, scheint uns das nicht so wichtig. Wichtiger ist für uns, warum sich überhaupt Wasser gebildet hat und was es mit diesen Flecken auf sich hat. Endlich - nach fast einer Woche - ich bin gerade zu Besuch, kommt der Arzt und teilt uns mit, dass es ich bei diesen Flecken um eine Krankheit handelt, die durch Asbest hervorgerufen wird. Man muss noch einige Untersuchungen machen und dann wird man entscheiden, wie man vorgehen wird.
Wir haben großes Vertrauen zu diesem Arzt. Er scheint uns so menschlich, gibt Auskunft wenn man ihn fragt, nichts scheint ihm zu viel zu sein. Er begegnet den Patienten auf Augenhöhe, fühlt sich nicht als „Halbgott in Weiß“. Es heißt also weiter warten. Und dann, eines Abends, ruft mich Peter an und erzählt mir, dass am späten Nachmittag der Arzt da gewesen ist und ihm die Krankheit genannt hat. Er hat sich den Namen aufschreiben lassen, weil sie ihm natürlich nichts sagt. Ich soll nun doch mal im Internet nachschauen, was es damit auf sich hat. Leider fällt es ihm etwas schwer, die Schrift zu entziffern. Aber wir bekommen es zu zweit hin. Ich überfliege den Artikel nur flüchtig und verspreche ihm dann, dass ich mich genau kundig machen und dann Bescheid geben werde.
Kapitel 5
Was für eine Nacht!! Niemals kann ich sie vergessen! Ich bin am Abend nicht mehr dazu gekommen, den Artikel zu lesen und mitten in der Nacht wach geworden. Ich stehe auf, denn ich will mein Versprechen auf jeden Fall halten, das ich Peter gegeben habe. Und hier nun trifft mich „Fluch und Segen des Internet“. Man kann alles erfahren, was man will, aber, was viel wichtiger ist in Fällen wie diesem, man muss auch mit dem Wissen umgehen können. Ich suche also erneut nach diesem „Pleura Mesotheliom“, auf Deutsch: Rippenfellkrebs. Und dann beginne ich zu lesen. Es ist nicht so richtig verständlich was ich finde, bis ich auf eine Seite stoße, die ein Mann erstellt hat, der genau wie Peter an dieser Krankheit leidet. Der Verlauf wird ganz genau beschrieben und der Mann hat die Seite wie ein Tagebuch angelegt. Schon nach ganz kurzer Zeit ist mir klar: diesen Kampf kann Peter nicht gewinnen. Gegen diese Krankheit ist buchstäblich kein Kraut gewachsen. Das Asbest, das er vor fast 30 Jahren bei der Arbeit eingeatmet hat, hat sich im Thorax-Bereich festgesetzt, verkapselt und dort, mehr oder weniger, vor sich „hingeschlummert“. Ich lese die Berichte von anderen Menschen, die sich auf diesem Blog äußern. Es geht um Männer, Brüder, Onkel, Väter. Und egal, auf welche Art sie gegen die Krankheit gekämpft haben, letztendlich steht immer der Satz: „gestern hat mein Vater, mein Bruder, mein Mann den Kampf gegen die Krankheit verloren.“ Es ist wirklich
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